Der unfreundliche Einzelhandelsrusse – Ein menschlicher Widerspruch

geschrieben von am 10. February 2011 um 10:53 am

Russen lächeln im Alltag wenig. Das ist ein nicht ganz unbekanntes Klischee. Auch vielen deutschen Russlandreisenden fällt auf: Ob beim Konduktor im Bus, beim Kellner oder beim Kassierer im Supermarkt, die Sache mit der Kundenfreundlichkeit haben die Russen anscheinend noch nicht ganz verinnerlicht. Häufig fühlt man sich nicht als König Kunde.

Warum das so ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Manche sagen, die russischen Löhne seien viel zu gering. Von der schlecht bezahlten Kassiererin zu verlangen, auch noch zu lächeln und dem Kunden noch einen schönen Tag zu wünschen, das sei ungerecht. Andere sagen, die Menschen in Russland hätten generell nicht viel zu lachen. Der harte Alltag, die allgegenwärtige Willkür, wie soll man da noch freundlich bleiben? Auch Tolstoj wird in diesem Zusammenhang gern zitiert: „Wenn schon lieben, dann von Herzen, wenn schon drohen, dann nicht zum Scherzen, (…) wenn schon strafen, dann gerecht, wenn schon feiern, dann bezecht!“ Wenn es also nichts gibt, worüber man sich wirklich freuen kann, warum sollte man dann lachen?

Nun ist es ja in unserer westlichen, sehr auf Konsum und Profit ausgerichteten Gesellschaft zur Normalität geworden, in jedem Geschäft herzlich begrüßt, nett bedient und mit wohlwollend freundlichem Lächeln wieder verabschiedet zu werden. Was wir jedoch inzwischen schon fast vergessen haben: Die Bäckersfrau muss nicht wirklich fröhlich sein, nur weil sie grinst. Der Frisör fragt uns nicht wie es uns geht, weil es ihn tatsächlich interessiert. Und die Verkäuferin im Baumarkt sagt zu ihrem Kunden nicht, er möchte sie doch bitte bald wiederbeehren, weil sie sich unsterblich in ihn verliebt hat. All diese Menschen sind nett, weil es heute zu ihrem Job gehört. Es ist Teil ihrer Arbeit und sie werden dafür bezahlt. Die Freundlichkeit, die Emotionen und Gefühlsregungen sind ein Produkt geworden, das der Kunde mit einkauft. Die eigentlich menschliche Beziehung zwischen dem Verkäufer und dem Kunden verschwindet dabei und wird überlagert vom wirtschaftlichen Kalkül, von der Hoffnung auf größeren Umsatz durch aufgesetzte, unmenschliche Freundlichkeit.

Ist das tatsächlich wünschenswert? Ist es uns inzwischen wirklich lieber, aufgesetzt nett behandelt zu werden, als einem menschlichen Menschen, mit menschlichen Emotionen gegenüberzutreten? Und ist es tatsächlich kritikwürdig, dass sich diese Form der Täuschung in Russland bisher nicht durchsetzen konnte? Oder sollten wir nicht vielmehr neidisch und anerkennend gen Osten blicken und gutheißen, dass sich die Russen ihre Menschlichkeit bisher bewahren und sich nicht von der Konsumgesellschaft dazu verleiten lassen, selbst ihre Gefühlsregungen noch zu verkaufen?

Die Antwort auf diese Frage muss sich wohl jeder selbst geben. Aber wenn ihnen das nächste Mal ein grimmiger Konduktor das Geld für die Busfahrt abknöpft, oder wenn es die Kassiererin beim Herausgeben des Wechselgeldes mal wieder nicht schafft, ihnen freudestrahlend in die Augen zu blicken und ihnen ein „Vielen Dank für Ihren Einkauf“ nachzujauchzen, dann seien sie versichert, diese Menschen meinen es ehrlich mit ihnen. Sie treten ihnen als Menschen gegenüber. Und bitte nehmen sie es nicht persönlich, denn der Kassiererin sind sie genauso egal, wie die Dame auch ihnen nicht unbedingt die Welt bedeutet.


Liebe Leser…

geschrieben von am 29. November 2010 um 7:12 pm

…leider sind nun schon seit einiger Zeit keine Beiträge der beiden Ufapoeten mehr erschienen. Das liegt daran, dass unser Projekt für dieses Jahr beendet ist und wir nicht mehr in Ufa weilen. Die Freunde Baschkortostans e.V. arbeiten jedoch daran, dass es bald wieder neue Freiwillige gibt, die sich von Halle auf den Weg nach Ufa machen, um ein aufregendes Austauschjahr zu erleben und ihre Eindrücke mit Ihnen, unseren treuen Lesern, zu teilen. Die Webseite bleibt also weiterhin bestehen und wenn das Projekt fortgesetzt wird, dann wird es auch wieder Spannendes aus Ufa, Baschkortostan und Russland zu lesen geben, dann allerdings von neuen Ufa-Poeten. Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Wir verabschieden uns nun, danken für Ihr Interesse und wünschen Ihnen bereits jetzt eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Herzliche Grüße
Ihre Ufapoeten
Julia Hoppe und Tobias König


Von der mitteljakutischen Niederung bis zum ostsibirischen Tiefland – Für Russland zählt jeder!

geschrieben von am 4. October 2010 um 4:18 pm

Das größte Land der Erde beheimatet eine ganze Menge Leute. Wie viele Menschen sich als Bürger der Russischen Förderation bezeichnen, wird sich bei der diesjährigen Allrussischen Volkszählung vom 14. bis 25. Oktober herausstellen.

pic-perepis-01Bei der Erhebung geht es darum, demografische Angaben von all jenen Personen zu gewinnen, die sich zum Zeitpunkt vom 14.10.  0 Uhr bis 25.10. auf dem gesamten Territorium Russlands befinden. Also auch Ausländer, die nur vorübergehend, zu Besuch oder befristet im Land sind. Auch im Ausland oder im All ist man von der Umfrage nicht befreit. Die drei Kosmonauten, die sich derzeit noch im All auf der “Sojus”-Trägerrakete befinden werden zu gegebener Zeit per e-Mail auf die Fragen, wie Familien- und Bildungsstand, Sprachen, Wohnungstyp und Material der Außenwände des Wohnhauses antworten.

Ende 2009 wollte Premierminister Putin die geplante Volkszählung von 2010 aufgrund der zu hohen anfallenden Kosten (circa 10 Mrd. Rubel) noch auf das Jahr 2012 verlegen, doch Präsident Medwedew bestand auf die Erhebung. So hat die Volkszählung in den entfernt gelegenen und schwer zugänglichen Gebieten bereits am 1. April des Jahres begonnen. Zu diesen Gebieten gehören 126 Kreise in 26 Subjekten der Russischen Förderation. Zwei Wochen vor Beginn der offiziellen Volkszählung wurde bereits in 40 Dörfern der Halbinsel Kamtschatka mit der Erhebung begonnen. 194 Zähler wurden angeheuert, den Einwohnern Kamtschatkas 25 Fragen zu Nationalität und Wohnbedingungen zu stellen. Wie viele Zähler dann ab nächster Woche den Rest der Föderation zählen, ist unbekannt.

Die erste Volkszählung wurde 1897 im Russischen Reich durch einen Fragebogen über demografische Angaben durchgeführt. Das Ergebnis waren 129,9 Millionen gezählte Bürger im Reich. Bei der ersten Erhebung der Sowjetunion im Jahre 1926 machten bereits 147 Millionen Menschen Angaben zum Fragebogen.  Auf dem Fragebogen standen 14 Fragen, darunter auch zu „Völkerschaft”, „Muttersprache”, „Lese- und Schreibkundigkeit”. Die Demographen erhielten somit umfassende Angaben, besonders über die soziale Zusammensetzung und über die Familien. Im heutigen Russland fand 2002 die erste Volkszählung statt und erbrachte folgendes Ergebnis: 145,2 Millionen Einwohner.

Wie viele Völker und Völkerschaften in Russland leben, auch das soll die Volkszählung beantworten. Nach den Angaben der Erhebung des Jahres 2002 leben in Russland 182 Völkerschaften. Ethnologen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Volksgruppen durch eine verstärkte nationale Selbstidentität vergrößert hat, sich eigene ethnokulturelle Volksgruppen aus größeren Völkern abgespaltet haben. Dazu gehören Kaitagazen, Kubatschinzen, Bulgaren, Bessermjanen. Aber auch Elfen, Hobbits und Rossijane wurden bei der letzten Zählung in Russland als Nationalitäten gemeldet. Die Volkszählung von 2010 wird konkretisieren, wie viele Völker und Völkerschaften in Russland leben und welche Sprachen sie sprechen.

России важен каждый! – Für Russland zählt tatsächlich jeder!1C29240B-1645-425A-AEA0-62A182E07624_mw800_mh600_s

Wer sich den Fragebogen auf Deutsch gerne einmal anschauen möchte, kann sich auf http://www.perepis-2010.ru/perepis-foreigner/ weiter belesen.


Ein Orgelkonzert ohne Orgel – vom Improvisieren einer Gemeinde

geschrieben von am 23. September 2010 um 6:39 am

Mittwochabend, 19 Uhr. Geduldig warten die Besucher in der kleinen Kirche der evangelisch-lutherischen Gemeinde auf die kommenden Klänge. Zeit, sich die kleine Steinkirche, die seit Beginn der Renovierungsarbeiten einen großen Fortschritt erlebt hat, genauer zu betrachten.

KirchenkreuzDie winzige Kirche erstrahlt mittlerweile zumindest innerlich in neuem Glanz. Während vor der Tür die Backsteine der Fassade teilweise noch immer im nackten Terrakottarot daliegen, zieren innerlich weißgeputzte Wände den Kirchraum und geben dem Raum einen leicht sterilen Schein. Sechs halbrunde hohe Plastikfenster mit Milchglasscheiben, auf die Pfarrer Minich besonders stolz ist, verhindern die Sicht auf die Baustelle. 14 geschliffene Birkenholzbänke bieten Sitzgelegenheit für die circa 50 Gäste. Ein ebenso schlichter hölzerner Altar mit Rednerkanzel und Holzkreuz schmückt den Altarraum. Sogar eine Heizung für die kalten Wintertage ist montiert und betriebsbereit. Weiße Lampen, die die Form eines Kronleuchters nachahmen, lassen die Kirche in hellweißem Licht erstrahlen.

Ja, gemütlich ist die renovierte Kirche bei weitem nicht, aber man spürt den Stolz der Gemeinde, auf den fertigen Innenraum. Pünktlich zum 100jährigen Jubiläum der Gemeinde sollten die Bauarbeiten fertig sein, zumindest das Herz des Gotteshauses konnte dem Anspruch gerecht werden.

Dennoch ließ sich die Gemeinde von den langjährigen Bauarbeiten nicht stören. Der wöchentliche Gottesdienst und der Bibelnachmittag am Mittwoch wurden vehement durchgeführt.

KircheEinen großen Traum hat die Gemeinde aber noch: eine echte Kirchenorgel. Dafür wird fleißig Geld gesammelt und gehofft. Doch auch vom fehlenden Instrument lässt die Kirchgemeinde nicht aus der Ruhe bringen. Ein e- Piano der Marke Casio gleicht die fehlenden Orgelklänge bisher aus.

Am gestrigen Tag, den 22.09.2010 fand der Abend der Kirchenmusik in der evangelisch-lutherischen Gemeinde der Stadt Ufa statt. Orgel- und Flötenmusik stand auf dem Programm. Durch vier Hände erklang auf der provisorischen Orgel Bachmusik. Es ist erstaunlich, wie gut solch ein kleines elektronisches Instrument den Klang einer Orgel nachahmen kann, doch es gelang mit Erfolg! Wenn auch nicht so kraftvoll und energiegeladen wie ein originales Pfeifenregisterinstrument, ergriffen Johann Sebastian Bachs Präludium in a-Moll, Toccata in d-Moll und Suite No. 3 trotzdem direkt das Herz. Ein Flötenduett und eine Suite für Flöte und Orgel bereicherten den Abend der Kirchenmusik, über dem Bach seine Hand hatte.

KonzertWas die Querflöte an Leichtigkeit mitbrachte, fehlte der Pseudoorgel an Schwermut und Kraft, dennoch verstanden es die Musiker mit höchster Professionalität, das Manko auszugleichen. „Eine echte Orgel ist natürlich unser Traum, aber in dieser kleinen Kirche reicht eigentlich das Piano aus, um den Raum akustisch zu füllen“, so Corinna Sons, die Organistin und Pianistin des Abends.

In den nächsten zwei Monaten soll im Innenraum ein Balkon errichtet werden, auf dem dann zukünftig eine richtige Kirchenorgel stehen und erklingen soll. Die Gemeinde hofft auf die Spende einer ausrangierten Orgel aus Deutschland oder den Niederlanden. Eine Organistin gibt es schon, wünschen wir der Gemeinde für die Zukunft und gerade für die Weihnachtszeit die Erfüllung ihres Traumes!


Made in Baschkortostan: Flüssiges Gold der Leidenschaft

geschrieben von am 30. August 2010 um 12:05 pm

Baschkortostan – Heimat von ungefähr 100 vielfältigen Nationen, unzähliger Wälder und Wiesen, einer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt und gleichzeitig Geburtsort des einzigartigen baschkirischen Honigs. Er gilt als beliebtestes Mitbringsel der Republik, wird auf Verkaufsmärkten und auch im Internet als bester und reinster Honig weltweit angepriesen und ist wohl fast bei jedem Russen unabdingbarer Begleiter des täglichen Teegenusses.

Flüssiges GoldWas aber macht ihn so besonders und zum Aushängeschild Baschkortostans? Ist es der einzigartige Geschmack, der durch spezielle Pflanzenarten in der Umgebung zustande kommt? Ist es eine ausgefallene Herstellungsmethode, die den Honig besonders wertvoll macht? Oder sind es gar Inhaltsstoffe, die dem baschkirischen Gold zur Nummer 1 aller Honigsorten verhalfen? Fakt ist, dass Honig gewisse Heilungsprozesse beschleunigt und dass gerade dem Baschkirischen Honig besondere Heilungskräfte vorausgesagt werden.

Honig wird schon seit der Steinzeit von Menschen genutzt und galt bis zum 19. Jahrhundert als wichtigstes und einziges Süßungsmittel. Im antiken Ägypten erreichte er seinen Höhepunkt – er galt als „Speise der Götter“ und als „Lebend gewordene Tränen“ des Sonnengottes Ra. Selbst Ramses II lies sich sein Gehalt in Honig auszahlen. Mittlerweile gibt es in jedem deutschen Supermarkt verschiedene billige Gläser des süßen Goldes zu kaufen – doch weder Herkunft noch Herstellung sind immer eindeutig.

Beim baschkirischen Honig kann man sich sicher sein. Die Imkerei gilt vor allem in den unzähligen kleinen Dörfern der Republik als wichtige Einkommensquelle. Wiesen und Wälder geben den Bienen genügend Nahrung für den leckeren Honig.

Wolodja, 43 Jahre, hat sein Leben der Imkerei zugeschrieben. „Das Leben auf dem Dorf ist hart“, erzählt er. „Es gibt keine Arbeit für die Menschen. Wir alle leben von der Landwirtschaft, aber Geld bringt uns das nicht. Wir brauchen auch Mehl für Brot und Konfekt für die Kinder, das müssen wir irgendwie bezahlen.“ Das Leben eines Dorfbewohners schildert er sehr schwarz, keine Arbeit, keine Perspektive. Alkoholismus ist das größte Problem. Er selbst war Alkoholiker, bis er vor 6 Jahren die Reißleine zog. Nun ist er zweifacher Familienvater, arbeitet als Heizer und Monteur für die kleine Dorfschule und hat eine große Liebe: die Imkerei.

Als ihm vor acht Jahren zwei Bienenfamilien geschenkt wurden, kaufte sich Wolodja zwei Bienenhäuser und begann sich mit der Bienenzucht zu beschäftigen. Seine Informationsquelle waren für den völlig Ungelernten Bücher und seine Freunde. Mit leuchtenden Augen zeigt er Bilder aus dem zerfledderten „Schulbuch der Imkerei“, dem er sein ganzes Wissen verdankt. Er entwickelte sich schnell und gewann sogleich Freude am Neuen. Aus seinem spät entdeckten Hobby wurde Leidenschaft und aus den anfänglichen zwei Familien vier. Im letzten Jahr betreute Wolodja sieben Bienenhäuser, in diesem Jahr expandierte er schon auf 12 Bienenfamilien und im nächsten Jahr sollen es noch mehr werden.

WabenMittlerweile produzieren seine Bienen 200 Liter Honig pro Jahr, der in riesigen Töpfen im kleinen Häuschen gelagert wird. Auf dem Zentralmarkt in Ufa würde ein 3-Liter Glas seines Honigs wahrscheinlich 2000 Rubel einbringen, doch diese Möglichkeit ist ihm nicht gegeben.  Die größten Abnehmer seines vorzüglichen Honigs sind Familienmitglieder und deren Freunde. Diese bekommen den geschleuderten Bienennektar dann zum Freundschaftspreis von 1000 Rubel, oder gar geschenkt. „Einmal habe ich einen 35-Liter- Eimer verkauft, der hat unserer Familie dann diesen Staubsauger eingebracht“, erzählt er stolz und zeigt dabei auf ein riesig blaues Ungetüm, mit dem seine Frau nun freudig 3Mal am Tag das 1-Zimmer- Häuschen saugt.

„Leider habe ich nur Töchter“, berichtet Wolodja ein wenig enttäuscht, denn die Imkerei ist Männerarbeit und auch nicht ganz ungefährlich. Seine Frau höchstpersönlich hat eine Bienenallergie. „Dafür haben wir aber eine Salbe gegen die Schwellung“, sagt sie. „Und Marianna, unsere Jüngste wurde bisher noch gar nicht gestochen.“ Sie weiß, dass die Imkerei der Familie zumindest ein kleines Nebeneinkommen einbringt.

„Durch die große Hitze in diesem Jahr gibt es übrigens keinen Lindenhonig“, erwähnt Wolodja noch. „Leider. Denn der Lindenhonig ist einer der Besten aus Baschkortostan.“ Aber der Wildblütenhonig aus diesem Jahr ist auch ganz formidabel, wie es sich bei der Kostprobe beim Mittagstisch herausstellt.

Die Inhaltsstoffe und Pflanzenarten sind es wahrscheinlich nicht, die den Baschkirischen Honig zu dem machen, was er ist. Der Zauber liegt vielmehr in der Herstellung. Der Honig aus den baschkirischen Dörfern wird mit einer ganz besonderen Zutat versehen: der Leidenschaft. Und genau diese verleiht dem Honig einen ganz speziellen Geschmack, der ihm eindeutig den Goldrang aller Honige weltweit einbringt.

Wolodja NikolaewWolodja Nikolaew, 43 Jahre ist zweifacher Familienvater und seit 6 Jahren trockener Alkoholiker. Seinen Lebensmut verdankt er nicht zuletzt seiner Leidenschaft, der Imkerei, die ihn seit 8 Jahren beschäftigt. Seine Familie kommt aus dem mariischen Dorf Baiturowo, etwa 90 km nordöstlich von Ufa entfernt. Wolodja lernte in Ufa Radiotechniker, konnte aber im Dorf nie eine Arbeit finden.


Mit allen Wassern gewaschen – eine Ufapoetin am Baikalsee

geschrieben von am 30. July 2010 um 6:26 pm

Während es sich der eine Ufapoet zum Ziel machte, einmal per Anhalter von Ufa bis zum Baikal zu trampen, bezweckte die andere Ufapoetin, in einer angenehm kühlen 64-stunden Zugfahrt im Kupé den Baikal zu erreichen. Nicht der Weg war das Ziel, sondern das Ziel ihr Weg. Sie wollte die Natur des Baikal erspüren, sich an seiner Schönheit ergötzen. Eine Woche lang am kältesten, ältesten, tiefsten und größten See der Erde entspannen. Einem See, der wohl alle Rekorde der Welt bricht und eigentlich mal ein Meer werden wollte.

Angaraschlucht

An der Südwestküste des Sees, 70 km von Irkutsk entfernt kam die Poetin an, in einem kleinen Holzhüttenhotel mit Meerblick. Listwjanka, ein mittlerweile sehr touristisches Dörfchen am Fuße des Baikals bot Herberge für 7 Tage. Das Dorf war schnell erkundet, ein Tal mit kleinen Holzhäuschen, ein weiteres Tal mit weiteren Hüttchen. An der anderen Seite der huckeligen doch asphaltieren Straße das Ufer des hiesigen Sees. Idyllisch. Wären da nicht Heerscharen von Touristen und Wochenendausflüglern aus Irkutsk, für die es kein größeres Vergnügen gibt, als am Wochenende ihre Körper beim Untertauchen im 5°C kalten Wasser zu fotografieren, am Ufer zu picknicken, Unmengen an Müll zu hinterlassen und sich als Abschluss tonnenweise vom begehrten geräucherten Baikalfisch Omul mit nach Hause zu nehmen. Ja, blickt man über diese Menschen hinweg sieht man Berge, Berge und den unendlichen See vorm noch weiter entfernten Horizont.

Der BaikalIhr war schon klar, dass ihre Fahrt zum größten See der Erde führen würde, aber in welchen Dimensionen – das wurde ihr erst vor Ort klar, als sie auf die Idee kam, einfach mal mit dem Schiff an die Ostküste fahren zu wollen. „Wie bitte? Was denkst du denn? Der See hat eine Breite von 70km, das ist viel zu weit und zu gefährlich, um da mal eben mit dem Schiff hinzufahren!!“ Mm…70km breit und 730 km lang – das macht ungefähr die Größe der Bundesrepublik Deutschland aus… einfach unglaublich. Auch das Volumen des Sees ist unvorstellbar. Alle Flüsse der Erde bräuchten umgerechnet fast ein Jahr, um den See mit Wasser zu füllen. Hinzu kommt, dass das Wasser fast überall Trinkqualität hat, was nicht zuletzt auf die Tiefe und die dünne Besiedelung zurückzuführen ist.

Ja, Sibirien ist schon ein geheimnisvolles und unbekanntes Land und für viele Europäer wohl der letzte weiße Fleck auf der Landkarte. Gerade deswegen war es eine Pflicht, ihn zu besuchen und ein Bändchen an einen schamanischen Baumstamm zu binden. So führte die Reise auch zur mysteriösen Insel Olkhon im Zentrum des Baikals, einem Fleckchen Erde mit den zweitmeisten Sonnenstunden weitweit, fehlendem Stromnetz und Kanalisation und größtenteils unasphaltieren Straßen. Die Jeeptour über Berg und Tal, Sanddünen, Wälder und weite Wiesen, stets an der Südküste der Insel entlang machte tiefen Eindruck. Eine bombastische Natur, ähnlich der der Mongolei. 1500 Einwohner, die ihre Heimat bewahren und beschützen, einzelne kleine Holzhüttenhotels für Touristen, die nicht eigenständig mit Zelt unterwegs sind. Ein Stück Erde, auf dem man noch Frieden und Unberührtheit spüren kann. Doch in den nächsten Jahren wird mit Sicherheit auch dieser Ort weiter für Touristen schmackhaft ausgebaut.

Ein anderes sehr außergewöhnliches Naturphänomen, das es nur am Baikal zu sehen gibt, ist die einzige Süßwasserrobbe der Welt. Sie ist schwarz und dick mit großen Knopfaugen und tummelt sich am liebsten im Osten des Sees. Trotz allem hatte die Poetin Glück. Anfang des Jahres wanderten zwei Röbbchen in die Bucht Listwjankas. Nun ziehen sie dort ihre Bahnen und werden ab und an gesehen. Der Baikal meinte es gut mit ihr, die Poetin sah sie fast täglich.

Alte TranssibstreckeNicht nur die Robben baden in ihm, auch für jeden Besucher ist es eine Pflicht, sich im heiligen Wasser zu waschen. Doch leider reizten die kühlen 5°C die Poetin nicht, in Weisheit zu baden. Bisher ist sie also noch nicht mit allen Wassern gewaschen. Es verlangt nach Wiederholung, der Baikal ruft Revange. Es gibt noch so vieles zu entdecken. Die alte Transsib- Strecke unter anderem ist ein beliebter Wanderpfad, der zugefrorene See eine Einladung für Huskyschlittenfahrten. Er bietet viele Möglichkeiten, der mysteriöste See der Erde.

Stille Wasser sind tief und weise. Das trifft wohl auch auf den Baikalsee zu. Nur still, das ist er nicht immer. Dann und wann plaudert er seine Geheimnisse aus…


Sehr sehr heißes Sommerloch – Ach ja… und ein neuer Präsident

geschrieben von am 29. July 2010 um 11:16 am

Der europäische Teil Russlands erlebt derzeit den heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In Ufa äußert sich das in Tagestemperaturen von über 35 °C. Auch nachts sinkt das Quecksilber schon seit Tagen nicht mehr unter 20°C. Sogar die Tagesschau sieht sich genötigt, darüber zu berichten:
Video: Schwarze Wolken über dem Roten Platz
Artikel: Dutzende Tote durch Brände in Russland
Video: Russen kämpfen verzweifelt gegen Feuerwalzen

Die beiden Poeten – inzwischen wohlbehalten aus den Weiten Sibiriens zurückgekehrt – verbringen die unerträgliche Hitze mit der Suche nach Abkühlung und der Hoffnung auf baldigen Regen. Sollten sich nämlich nicht demnächst die Schleusen des Himmels öffnen, dann könnte es sein, dass die für den Jugendaustausch Ufa-Halle geplante Paddeltour durch den Ural zu einer Trekkingtour wird. Denn ohne genügend Wasser im Fluss Belaja werden wir die Boote wohl tragen müssen.

Vor zweit Wochen, als die Poeten sich noch den frischen Seewind des Baikals um die Ohren wehen ließen, erreichte uns eine unerwartete politische Neuigkeit aus Baschkortostan. Der seit fast 17 Jahren amtierende Präsident Baschkortostans, Murtasa Rachimow, ist am 15. Juli zurückgetreten. An seine Stelle tritt nun kommissarisch Rustem Khamitov, bisher Manager bei der russischen Firma „РусГидро“ (RusHydro). Khamitov ist Sohn eines tatarischen Vaters und einer baschkirischen Mutter und dazu noch mit einer Russin verheiratet. Er spiegelt damit hervorragend die ethnische Vielfalt der Republik Baschkortostan wider.


Per Anhalter… zum Baikalsee

geschrieben von am 14. July 2010 um 10:20 pm

Etappe 5: Von Krasnojarsk nach Irkutsk – Nebelgeister und Linksverkehr

Am Nachmittag nehme ich den Bus hinaus aus der Stadt und laufe die restlichen fünf Kilometer bis zur Autobahn. Die Sonne brennt mir ziemlich heiß auf den Hut. Der Weg ist traumhaft schön, denn er führt direkt am Ufer des Jenisseis entlang. Zuerst nimmt mich ein junges Pärchen in einem Van bis zur nächsten größeren Raststätte mit. Als ich dort ankomme, stürzt ein Mann auf mich zu und bettelt mich um 4000 Rubel an (ca. 100 €). Er spricht eigentlich kein Wort Russisch, nur diesen einen Satz, dass er 4000 Rubel möchte, den kann er sagen. Er behauptet Jordanier zu sein und ganz dringend nach Moskau reisen zu müssen. Ich packe mein etwas verrostetes Arabisch aus, aber er versteht kein Wort. Dann will er mir seinen dicken goldenen Ring für die 4000 Rubel geben, beginnt vor mir zu knien und ruft immer wieder Allah an. Für diese hervorragende Show gebe ich ihm 200 Rubel (ca. 5 €) und schicke ihn weg.

Nachdem ich mir an der Raststätte einen leckeren Schaschlikspieß gegönnt habe, geht es weiter. Ein Förster nimmt mich in seinem Niva – einem von der Firma Lada produzierten Geländewagen – mit. Endlich habe ich jemanden gefunden, den ich darüber ausfragen kann, wie groß die Gefahr ist, hier in den sibirischen Wäldern von Bären verspeist zu werden. In Ufa hatte man mich vor diesen Tieren gewarnt, aber die Fahrer, mit denen ich bis jetzt unterwegs war, haben über dieses Thema immer spöttisch gelacht, die meisten hatten noch nie einen Bären gesehen. Der Förster erzählt, dass er neuerdings an der Universität Vorlesungen über Naturschutz hält. Die Hochschulen hätten diesbezüglich eine Anweisung aus Moskau bekommen und nun hätte er einen neuen Nebenjob. Wieder ein Zeichen, dass der Umweltschutz auch in Russland an Bedeutung gewinnt? Zu den Bären äußert er sich sehr eindeutig. „Es gibt hier in den Wäldern sehr viele Bären.“, sagt er, „und sie haben auch keine Angst vor größeren Straßen.“ Diese Gefahr sollte man also keineswegs unterschätzen. Kurz vor der Stadt Kansk steige ich an einem kleinen Rasthof wieder aus.

In der Abendsonne stehen drei LKWs. Bei zweien ist des Führerhaus nach vorn geklappt und die Fahrer werkeln an den Motoren herum. Der Wirt der kleinen Kneipe ist bereits betrunken und auch die schraubenden Fahrer haben schon den einen oder anderen Wodka intus – die Stimmung ist ausgelassen fröhlich. Fahrtüchtig ist hier wohl niemand mehr, aber mir wird ein Platz zum Schlafen in einem der Wagen angeboten. Dann kommt ein weiterer Laster mit einer Ladung Altreifen auf das Gelände. Den uralten KAMAZ steuert ein sehr faltiger, aber liebenswürdig aussehender Mittsechziger. Er zeigt nicht wirklich Lust, mich mitnehmen zu wollen, aber der Wirt überredet ihn. Und so beginnt die Fahrt durch die Nacht. Noch 850 Kilometer bis Irkutsk.

Aus den Wiesen steigt Nebel auf und Stück für Stück verschwindet auch die Straße in den Schwaden. Ein bisschen ist es wie in einen Horrorfilm. Es sieht aus, als ob der Nebel den LKW packt und langsam aber unaufhaltsam in sich hineinzieht. „Jetzt fehlt nur noch, dass uns etwas Gruseliges entgegenkommt.“, denke ich bei mir. Und siehe da, plötzlich läuft eine, nur leicht bekleidete, etwa 30-jahrige Frau auf uns zu. Es ist inzwischen ziemlich kalt geworden und wir sind zig Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Ein Auto hatte ich auch nirgendwo erspähen können. Was zur Hölle machte also diese Frau, zu solcher Temperatur und Tageszeit, in ihrem dünnen Hemdchen, allein, mitten im Nebel? Wir rauschen vorbei. Unheimlich.

Als es richtig dunkel wird, hat sich der Nebel zum Glück wieder gelegt. Die Straßen werden immer schlechter. Anfangs sind es größere Schlaglöcher, dann sind nur noch einige Asphaltreste vorhanden. Feldwege, altes Kopfsteinpflaster, Schotterpisten – und das nennt sich also „föderale transkontinentale Straßenverbindung“. Naja, wir kommen immerhin vorwärts. Inzwischen bin ich auch heilfroh in einem alten KAMAZ zu sitzen. Wir fahren nur, je nach Streckenverhältnissen, zwischen 10 und 30 km/h, aber dabei überholen wir trotzdem neuere Kleinwagen und LKWs, die hier noch langsamer unterwegs sind.

Mitten in der Nacht steuert mein Fahrer – Sergej – plötzlich an den Rand und hält an. Der Keilriemen ist gerissen. Sergej kramt einen neuen Riemen hervor. Wir kippen das Führerhaus nach vorn. Der Motor darunter zischt und qualmt, er ist viel zu heiß geworden. Es fehlt Kühlwasser, aber darum kümmern wir uns später. Ich leuchte Sergej, er flucht vor sich hin und tauscht den Keilriemen aus. Nach 15 Minuten ist alles erledigt. Mit zwei Eimern bewaffnet, krauchen wir den Abhang neben der Straße hinunter, zu einem kleinen Bach. Das Ufer ist ziemlich aufgeweicht und so versinken wir bis zu den Knöcheln im Schlamm. Gegenseitig halten wir uns fest und angeln abwechselnd mit dem Eimer nach neuem Kühlwasser für den Motor. Ich frage mich, ob es normal ist, für Kühlung eines Motors Flusswasser zu verwenden, oder ob das nur robuste russische Fabrikate verkraften.

Nach dieser Zwangspause fahren wir weiter. Als der Morgen dämmert halten wir auf einem Rastplatz und schlafen für ein paar Stunden in der Kabine. Um 8:00 geht es wieder los. Langsam werden die Straßen auch besser. Dann geht erneut etwas kaputt, was genau habe ich aber nicht verstanden. Auch hierfür haben wir Ersatz dabei. Nach fast einstündigem Schrauben ist Sergej mit dem Ergebnis zufrieden und wir setzen die Fahrt fort. Gegen Mittag lässt er mich in einer kleineren Stadt kurz vor Irkutsk raus. Das letzte Stück fahre ich mit dem Bus.

Etwas fällt hier in Irkutsk sofort auf. Weit über die Hälfte der Autos hat das Lenkrad auf der rechten Seite. Mein Couchsurfing-Host Edward erklärt warum. Es ist deutlich teurer, Autos aus Europa hierher zu importieren, als sie in Japan einzukaufen. Viele Autohändler fahren nach Wladiwostok, kaufen dort ein japanisches, koreanisches oder chinesisches Fabrikat und bringen es selbst hierher nach Irkutsk. In Japan herrscht Linksverkehr und alle dort produzierten Wagen haben selbstverständlich das Steuer auf der rechten Seite. Ich will wissen ob es dann für die Sicherheit im Straßenverkehr nicht sinnvoll wäre, hier in Irkutsk und weiter östlich auch komplett auf Linksverkehr umzustellen. „Einfluss auf die Sicherheit hat das eigentlich nicht.“, sagt Edward, „Man kann natürlich an dem Auto, dass vor einem fährt nicht vorbeisehen, wenn man im Wagen auf der rechten Seite sitzt. Aber dann muss man beim Überholen eben auf den Beifahrer vertrauen.“


Per Anhalter… zum Baikalsee

geschrieben von am 14. July 2010 um 9:07 pm

Etappe 4: Von Novosibirsk nach Krasnojarsk – Die erste Nacht im Freien

Beim Frühstück mit Ivan verquatscht sich der Poet bis zum frühen Nachmittag. Die geplanten 750 Kilometer bis Krasnojarsk sind damit bis zum Abend nicht mehr zu schaffen. Als ich dann an der Straße stehe, geht es aber sehr schnell. Nach kurzer Zeit nimmt mich ein Klempner in seinem Mercedes Transporter mit. Seine Stimme ist furchtbar und ich bin froh, wenn er mal ein paar Minuten schweigt. Der Mann freut sich riesig, einen Deutschen mitgenommen zu haben. Das Handbuch für seinen Mercedes ist nur in deutscher Sprache verfasst und so kann er mit den meisten Knöpfen am Armaturenbrett nichts anfangen. Er bittet mich, ihm deren Funktion zu erklären. Als wir beim Regler für die Differentialsperre des Allradantriebs angelangt sind, komme ich doch leicht ins stottern. Es bereitet mir schon einige Mühe mir auf Deutsch vorzustellen, was das eigentlich ist. Es dann noch auf Russisch zu erklären übersteigt die Fähigkeiten des Poeten. Aber mit Händen, Füßen, Gestikulieren und Wörterraten klappt es dann doch irgendwie. Als ich das Handbuch zurück ins Ablagefach schiebe bin ich völlig erschöpft und durchgeschwitzt.

Als nächstes nimmt mich wieder ein LKW mit. Zum ersten Mal fahre ich “KAMAZ” – ein LKW made in Russia. So schlimm, wie mir andere Trucker vorher erzählt hatten ist es nicht – eigentlich ist es überhaupt nicht schlimm. Die Kabine ist etwas weniger luxuriös eingerichtet und man kommt nicht ganz so schnell vorwärts, aber man kommt vorwärts und das ist in diesem Moment alles was ich brauche. Der Fahrer lässt mich an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo heraus. Nur ganz selten hält mal ein Auto, niemand will mich mitnehmen. Nach drei Stunden, es ist bereits 21:00 und ich ziemlich entmutigt, mache ich mich zu Fuß auf die Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht. Der Wald links und rechts der Straße hat ein sehr dichtes Unterholz. Hier ist kein Durchkommen. Unter der Straße führt ein dickes Rohr hindurch. „Das wird es dann wohl sein.“, denke ich, „Na wenigstens ist es dort trocken.“

Dann hält doch noch ein Auto. Ein junger Mann, Ende 20, nimmt mich mit bis ins Zentrum der Stadt Kemerowo. Glück gehabt, aber ich habe trotzdem keinen Platz zum Schlafen. Also beschließe ich die Nacht durchzufahren, so lange es geht. Durch Kemerowo gehe ich zu Fuß. Als ich an die Brücke über den Fluss „Tom“ (nach dem auch die Stadt Tomsk benannt ist) komme, steht dort ein Schild mit der Aufschrift „Gefahrenzone“. Ich stocke kurz. Um zur Autobahn zu kommen muss ich wohl oder übel diese Brücke überqueren. Der Fluss ist hier sehr breit und ich kann nicht die gesamte Brücke einsehen, aber etwas Gefährliches kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Also laufe ich weiter. Etwa in der Mitte der Brücke taucht eine Absperrung auf. Dahinter ist der Bürgersteig mit großen Planen abgedeckt. Hier ist erst vor Kurzem der Gehweg neu betoniert worden. Soll ich doch lieber zurück laufen? Aber wenn der Beton schon trocken ist…? Ich klettere mit einem Bein über die Absperrung und probiere vorsichtig, ob der Untergrund fest ist. Kein Problem. Ich sinke nicht ein, alles scheint ausgehärtet. Ich klettere ganz über die Absperrung und laufe vorsichtig weiter. Nach 300 Metern fängt der Boden unter mir an, sich doch etwas komisch anzufühlen. Noch kann ich nicht sehen warum, die Plane verdeckt die Sicht. Dann beginne ich einzusinken. Mist! Egal, jetzt laufe ich weiter. Ich sinke immer tiefer ein und hinterlasse eine 100 Meter lange Fußspur im frischen Beton.

Den Stadtrand erreicht der Poet erst, als die Sonne schon untergeht. Wieder nimmt mich ein KAMAZ mit, 150 Kilometer bis Mariinsk. Bei der Ankunft ist es bereits 1:00 und stockdunkel. Zu so später Stunde wird niemand mehr anhalten. Ich stapfe durch die Nacht. In der Ferne ist sind die Lautsprecheransagen des Bahnhofs zu hören. Mariinsk ist nur eine kleine Stadt, aber für die russische Eisenbahn von großer Bedeutung. Hier wechselt das Stromsystem in der Oberleitung von Gleich- auf Wechselstrom. Bei jedem Zug, der auf der Transsibirischen Eisenbahn fährt, muss in Mariinsk die Lok ausgetauscht werden. Ich suche nach einem Platz, an dem ich warten kann, bis die Sonne wieder aufgeht. An einer kleinen beleuchteten Bushaltestelle setze ich mich auf die Bank. Regelmäßig fährt eine Polizeistreife vorüber. Dann rauscht plötzlich ein aufgemotzter Lada vorbei, wendet und hält vor der Haltestelle. Aus dem Auto heraus mustert mich die Kleinstadtjugend. Ich bekomme kurz ein mulmiges Gefühl, aber es passiert nichts. Nach wenigen Sekunden fährt der Wagen weiter.

Gegen 4:00 wird es wieder langsam hell. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg, zurück zur Fernstraße. Die Dörfer, durch die ich laufe, sind noch totenstill – zumindest bis der Poet sie betritt. Hinter beinahe jedem Zaun beginnt ein Hund zu bellen, das ganze Dorf kläfft mir nach. Eine halbe Stunde später nimmt mich ein LKW mit. Er hat 29 Tonnen Bananen geladen. Da auf russischen Straßen nur maximal 20 Tonnen erlaubt sind, ist er ausschließlich nachts unterwegs. Um die Polizeikontrollen zu umgehen fährt er oft große Umwege. „Fast 90 Prozent der russischen LKWs fahren so.“, erzählt der Mann am Steuer. Ich nicke ein, hole den fehlenden Schlaf der letzten Nacht nach.

Um 11:00 werde ich am Stadtrand von Krasnojarsk raus gelassen. Immer noch todmüde frage ich eine sehr ärmlich aussehende Kwas-Verkäuferin nach dem Bus ins Zentrum. Sie hilft mir sehr freundlich, verkauft mir einen halben Liter Kwas. Als ich trinken will, sehe ich, dass der Plastikbecher Beulen und Druckstellen – er ist schon einmal benutzt worden. Die Frau sagt: „Trinken sie doch, sie sind bestimmt erschöpft von der langen Nacht.“ Der Poet trinkt und ekelt sich. Hinter der nächsten Ecke feuert er den Becher samt Inhalt in einen Mülleimer. Widerlich!

Krasnojarsk – die Stadt, die auch auf dem 10-Rubel-Schein abgebildet ist – finde ich nicht besonders schön. Ob das ein Grund ist, warum diese Geldscheine gerade russlandweit durch 10-Rubel-Münzen ersetzt werden? Wohl eher nicht. Der Bahnhof ist dann aber doch ganz hübsch. Ich setzte mich auf den Vorplatz und ruhe mich aus, schreibe Postkarten. Aus Krasnojarsk hat mir leider kein Couchsurfing-Host zugesagt. Auch hier habe ich keinen Ort zum Übernachten. Am Nachmittag wird es also gleich weitergehen – die letzten 1050 Kilometer bis nach Irkutsk.


Per Anhalter… zum Baikalsee

geschrieben von am 11. July 2010 um 10:28 pm

Etappe 3: Von Omsk nach Novosibirsk – Cowboys, Walderdbeeren und Mückenplage

Gestern wollte der Poet die 660 Kilometer von Omsk, der grünen Stadt an der Om, nach Novosibirsk, der inoffiziellen Hauptstadt Sibiriens überwinden. Die ersten 100 Kilometer lief alles wie am Schnürchen. Ich hatte mich gerade an die Autobahn gestellt, da hielt auch schon Kostja in seinem nagelneuen Skoda und nahm mich mit. Die etwa 100 Kilometer schafften wir in 40 Minuten. Dort ließ Kostja mich an einer großen Raststätte raus und fuhr weiter zu seiner Familie aufs Dorf.

An der Tankstelle standen ziemlich viele LKWs, die ich alle abklapperte. Keiner der Fahrer wollte mich mitnehmen. Dann fuhr ein Truck mit ukrainischem Kennzeichen an die Zapfsäule. Der Fahrer meinte, er würde mich mitnehmen, könne aber nur noch etwa drei bis vier Stunden weiterfahren und müsse dann pausieren, weil er nach Tachograph fahre, also bestimmte Lenk- und Ruhezeiten einhalten müsse. Vier Stunden Fahrt, das entspricht etwa 300 Kilometern, er würde mich also meinem Ziel ein großes Stück näherbringen. Ich stieg ein.

An den Namen des Fahrers kann ich mich leider nicht erinnern. Er sah jedoch beinahe aus, wie die Torwartlegende Sepp Maier, nur braugebrannt und ungepflegt. Von dem was Sepp sagte verstand ich fast nichts. Ob es daran lag, dass er ukrainisch sprach oder ob ich einfach zu müde war, um ihm zu folgen, weiß ich nicht. Zum Glück erzählte er nicht viel und so schwiegen wir uns die meiste Zeit an.

Der Regen der letzten Tage hatte die trockenen Steppen, an denen ich vorbeifahre, in saftiges Grün verwandelt. Nun, auf dem Weg nach Novosibirsk grasen ab und zu Rinderherden nahe der Straße, begleitet von berittenen Hirten. Es gibt hier in Sibirien tatsächlich echte Cowboys. Ob sie wohl Marlboro rauchen? Dann gibt es auf einmal unzählige Menschen, die gebückt irgendwo in den Wiesen hocken. Was sie dort tun wurde mir erst etwas später klar. Sie sammeln eine Art Walderdbeeren, um sie dann am Straßenrand an vorbeikommende Autofahrer zu verkaufen.

Als wir den Novosibirskaja Oblast erreichen ändert sich die Landschaft. Es gibt nun deutlich mehr Wälder und immer wieder Seen, kleine Tümpel und Sümpfe. Und noch etwas ist neu. Am Straßenrand gibt es in regelmäßigen Abständen Mülleimer und große Hinweisschilder mit der Aufschrift „Schützt den Wald“. Sollte die regionale Verwaltung hier etwa zu der Erkenntnis gelangt sein, dass man Natur nicht nur verschmutzen sondern auch schützen kann? Mülleimer und Hinweisschilder sind immerhin ein Anfang.

Dörfer werden nun immer seltener. Die Region scheint mit Fisch gesegnet zu sein. Ab und zu fahren wir an Autos vorbei, an denen man geräucherten Fisch kaufen kann. Auch ein paar freilaufende Pferdeherden sind zu sehen. Etwa 500 Meter neben der Autobahn führt seit ein paar Hundert Kilometern eine Reihe aus kleinen gelben Warntafeln entlang. Von hier fließt das berühmte sibirische Erdgas bis nach Westeuropa und sorgt dort für warme Stuben in kalten Wintern.

Nach etwa vier Stunden Fahrt hält Sepp kurz an. Er zieht irgendwelche Kabel unter dem Armaturenbrett hervor und fummelt daran herum. Zum Schluss schiebt er eine aufgebogene Büroklammer in eines der Kabel und schiebt mit einem zufriedenen Lächeln alles wieder hinter die Verkleidung. So fahren wir weiter, vielleicht eine oder zwei Stunden. Dann wiederholt er die Prozedur – nur, dass er die Büroklammer diesmal wieder entfernt. Kurz darauf fahren wir an einer Polizeikontrolle vorbei. Er scheint etwas aufgeregt zu sein, aber das legt sich schnell, als wir die Kontrolle passiert haben. Später erklärt er mir, was es mit dieser Büroklammer auf sich hat. Er überbrückt damit irgendeinen Kontakt und trickst den Tachographen aus. Dieser zeichnet dann die Fahrt nicht mehr auf, sondern verbucht die Zeit als Ruhephase. Kann man die Technik wirklich so leicht überlisten?

Und noch etwas ist komisch an seiner Fahrweise. Er beschleunigt seinen LKW immer auf ca. 90 km/h, nimmt dann den Gang heraus, lässt den Truck auf 50 bis 60 km/h ausrollen und beschleunigt dann wieder. Der Mann wird mir ein wenig unheimlich. Inzwischen ist es kurz nach 22:00. Die von Sepp zu Beginn angekündigten drei bis vier Stunden, die er noch fahren darf, sind lange überschritten. 60 Kilometer vor Novosibirsk fährt er auf einen Rasthof und macht sich bettfertig. Ich bin stinksauer. Warum fährt er nicht einfach noch eine Stunde weiter und bringt sich selbst und mich ans Ziel? „Das geht nicht, ich muss die Ruhezeiten einhalten.“, sagt Sepp. Ich stapfe zurück zur Straße um zu versuchen, jemanden zu erhaschen, der mich noch an diesem Tag bis Novosibirsk bringt.

Aussichtslos! Es ist schon fast dunkel und niemand hält mehr an. Und noch dazu werde ich von den Mücken fast aufgefressen. Die vielen Tümpel und Sümpfe in der Umgebung bieten perfekte Bedingungen für die Eiablage und die armen Tramper, die nach Osten wollen, sind eine noch bessere Nahrungsquelle. Innerhalb von 10 Minuten habe ich gefühlte 200 Mücken erschlagen und bin von ebensovielen gestochen worden. Ich flüchte zurück zu Sepp und frage, ob ich bei ihm im LKW schlafen kann. Wir trinken noch mit ein paar anderen Truckern ein Feierabendbier und dann krabbeln wir auf die Liegen im hinteren Teil der Fahrerkabine. Eigentlich ist es gar nicht so unbequem. Man hat deutlich mehr Platz, als beispielsweise in einem Schlafwagen. Wenn Sepp doch nur nicht so erbarmungslos schnarchen würde. Vor dem Einschlafen frage ich noch, wann er am nächsten Morgen weiterfahren will. „Aach!“, winkt Sepp ab, „Spät! Erst gegen 10:00 oder 11:00, ich muss jetzt 12 Stunden Pause machen.“

Um 8:00 morgens sitzt Sepp wieder am Steuer und fährt weiter. Nach 20 Minuten hält er an der nächsten Tankstelle. „So“, sagt er, „weiter kann ich nicht fahren, jetzt muss ich erstmal Pause machen.“ Ich habe genug von Sepp, verabschiede mich und steige aus. An der Straße wartet noch ein Tramper. Er ist aus dem Kaukasus und will zu seiner Freundin nach Krasnojarsk. Ich spreche den Fahrer eines PKWs an, der gerade tankt. „Wie viel zahlst du denn?“, will der Mann wissen. Ich überlege kurz ob es mir die letzten Kilometer noch wert sind, dafür Geld zu zahlen und sage dann: „200!“ (200 Rubel = ca. 5 €)

Für die 200 Rubel werde ich sogar bis zum meinem Couchsurfing-Host vor die Haustür gefahren. Der, der mich da mitnimmt ist Polizist. Er und sein Kollege sind gerade auf dem Weg zur Arbeit und haben neben mir noch einen weiteren zahlenden Fahrgast auf der Rückbank, um sich etwas dazuzuverdienen. Den Rest des Tages verbringe ich mit Ivan und seiner Freundin Vera. Am Abend machen wir gemeinsam Pelmeni – die Echten, die Sibirischen.