Per Anhalter… zum Baikalsee

Etappe 5: Von Krasnojarsk nach Irkutsk – Nebelgeister und Linksverkehr

Am Nachmittag nehme ich den Bus hinaus aus der Stadt und laufe die restlichen fünf Kilometer bis zur Autobahn. Die Sonne brennt mir ziemlich heiß auf den Hut. Der Weg ist traumhaft schön, denn er führt direkt am Ufer des Jenisseis entlang. Zuerst nimmt mich ein junges Pärchen in einem Van bis zur nächsten größeren Raststätte mit. Als ich dort ankomme, stürzt ein Mann auf mich zu und bettelt mich um 4000 Rubel an (ca. 100 €). Er spricht eigentlich kein Wort Russisch, nur diesen einen Satz, dass er 4000 Rubel möchte, den kann er sagen. Er behauptet Jordanier zu sein und ganz dringend nach Moskau reisen zu müssen. Ich packe mein etwas verrostetes Arabisch aus, aber er versteht kein Wort. Dann will er mir seinen dicken goldenen Ring für die 4000 Rubel geben, beginnt vor mir zu knien und ruft immer wieder Allah an. Für diese hervorragende Show gebe ich ihm 200 Rubel (ca. 5 €) und schicke ihn weg.

Nachdem ich mir an der Raststätte einen leckeren Schaschlikspieß gegönnt habe, geht es weiter. Ein Förster nimmt mich in seinem Niva – einem von der Firma Lada produzierten Geländewagen – mit. Endlich habe ich jemanden gefunden, den ich darüber ausfragen kann, wie groß die Gefahr ist, hier in den sibirischen Wäldern von Bären verspeist zu werden. In Ufa hatte man mich vor diesen Tieren gewarnt, aber die Fahrer, mit denen ich bis jetzt unterwegs war, haben über dieses Thema immer spöttisch gelacht, die meisten hatten noch nie einen Bären gesehen. Der Förster erzählt, dass er neuerdings an der Universität Vorlesungen über Naturschutz hält. Die Hochschulen hätten diesbezüglich eine Anweisung aus Moskau bekommen und nun hätte er einen neuen Nebenjob. Wieder ein Zeichen, dass der Umweltschutz auch in Russland an Bedeutung gewinnt? Zu den Bären äußert er sich sehr eindeutig. „Es gibt hier in den Wäldern sehr viele Bären.“, sagt er, „und sie haben auch keine Angst vor größeren Straßen.“ Diese Gefahr sollte man also keineswegs unterschätzen. Kurz vor der Stadt Kansk steige ich an einem kleinen Rasthof wieder aus.

In der Abendsonne stehen drei LKWs. Bei zweien ist des Führerhaus nach vorn geklappt und die Fahrer werkeln an den Motoren herum. Der Wirt der kleinen Kneipe ist bereits betrunken und auch die schraubenden Fahrer haben schon den einen oder anderen Wodka intus – die Stimmung ist ausgelassen fröhlich. Fahrtüchtig ist hier wohl niemand mehr, aber mir wird ein Platz zum Schlafen in einem der Wagen angeboten. Dann kommt ein weiterer Laster mit einer Ladung Altreifen auf das Gelände. Den uralten KAMAZ steuert ein sehr faltiger, aber liebenswürdig aussehender Mittsechziger. Er zeigt nicht wirklich Lust, mich mitnehmen zu wollen, aber der Wirt überredet ihn. Und so beginnt die Fahrt durch die Nacht. Noch 850 Kilometer bis Irkutsk.

Aus den Wiesen steigt Nebel auf und Stück für Stück verschwindet auch die Straße in den Schwaden. Ein bisschen ist es wie in einen Horrorfilm. Es sieht aus, als ob der Nebel den LKW packt und langsam aber unaufhaltsam in sich hineinzieht. „Jetzt fehlt nur noch, dass uns etwas Gruseliges entgegenkommt.“, denke ich bei mir. Und siehe da, plötzlich läuft eine, nur leicht bekleidete, etwa 30-jahrige Frau auf uns zu. Es ist inzwischen ziemlich kalt geworden und wir sind zig Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Ein Auto hatte ich auch nirgendwo erspähen können. Was zur Hölle machte also diese Frau, zu solcher Temperatur und Tageszeit, in ihrem dünnen Hemdchen, allein, mitten im Nebel? Wir rauschen vorbei. Unheimlich.

Als es richtig dunkel wird, hat sich der Nebel zum Glück wieder gelegt. Die Straßen werden immer schlechter. Anfangs sind es größere Schlaglöcher, dann sind nur noch einige Asphaltreste vorhanden. Feldwege, altes Kopfsteinpflaster, Schotterpisten – und das nennt sich also „föderale transkontinentale Straßenverbindung“. Naja, wir kommen immerhin vorwärts. Inzwischen bin ich auch heilfroh in einem alten KAMAZ zu sitzen. Wir fahren nur, je nach Streckenverhältnissen, zwischen 10 und 30 km/h, aber dabei überholen wir trotzdem neuere Kleinwagen und LKWs, die hier noch langsamer unterwegs sind.

Mitten in der Nacht steuert mein Fahrer – Sergej – plötzlich an den Rand und hält an. Der Keilriemen ist gerissen. Sergej kramt einen neuen Riemen hervor. Wir kippen das Führerhaus nach vorn. Der Motor darunter zischt und qualmt, er ist viel zu heiß geworden. Es fehlt Kühlwasser, aber darum kümmern wir uns später. Ich leuchte Sergej, er flucht vor sich hin und tauscht den Keilriemen aus. Nach 15 Minuten ist alles erledigt. Mit zwei Eimern bewaffnet, krauchen wir den Abhang neben der Straße hinunter, zu einem kleinen Bach. Das Ufer ist ziemlich aufgeweicht und so versinken wir bis zu den Knöcheln im Schlamm. Gegenseitig halten wir uns fest und angeln abwechselnd mit dem Eimer nach neuem Kühlwasser für den Motor. Ich frage mich, ob es normal ist, für Kühlung eines Motors Flusswasser zu verwenden, oder ob das nur robuste russische Fabrikate verkraften.

Nach dieser Zwangspause fahren wir weiter. Als der Morgen dämmert halten wir auf einem Rastplatz und schlafen für ein paar Stunden in der Kabine. Um 8:00 geht es wieder los. Langsam werden die Straßen auch besser. Dann geht erneut etwas kaputt, was genau habe ich aber nicht verstanden. Auch hierfür haben wir Ersatz dabei. Nach fast einstündigem Schrauben ist Sergej mit dem Ergebnis zufrieden und wir setzen die Fahrt fort. Gegen Mittag lässt er mich in einer kleineren Stadt kurz vor Irkutsk raus. Das letzte Stück fahre ich mit dem Bus.

Etwas fällt hier in Irkutsk sofort auf. Weit über die Hälfte der Autos hat das Lenkrad auf der rechten Seite. Mein Couchsurfing-Host Edward erklärt warum. Es ist deutlich teurer, Autos aus Europa hierher zu importieren, als sie in Japan einzukaufen. Viele Autohändler fahren nach Wladiwostok, kaufen dort ein japanisches, koreanisches oder chinesisches Fabrikat und bringen es selbst hierher nach Irkutsk. In Japan herrscht Linksverkehr und alle dort produzierten Wagen haben selbstverständlich das Steuer auf der rechten Seite. Ich will wissen ob es dann für die Sicherheit im Straßenverkehr nicht sinnvoll wäre, hier in Irkutsk und weiter östlich auch komplett auf Linksverkehr umzustellen. „Einfluss auf die Sicherheit hat das eigentlich nicht.“, sagt Edward, „Man kann natürlich an dem Auto, dass vor einem fährt nicht vorbeisehen, wenn man im Wagen auf der rechten Seite sitzt. Aber dann muss man beim Überholen eben auf den Beifahrer vertrauen.“

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