Per Anhalter… zum Baikalsee

Etappe 3: Von Omsk nach Novosibirsk – Cowboys, Walderdbeeren und Mückenplage

Gestern wollte der Poet die 660 Kilometer von Omsk, der grünen Stadt an der Om, nach Novosibirsk, der inoffiziellen Hauptstadt Sibiriens überwinden. Die ersten 100 Kilometer lief alles wie am Schnürchen. Ich hatte mich gerade an die Autobahn gestellt, da hielt auch schon Kostja in seinem nagelneuen Skoda und nahm mich mit. Die etwa 100 Kilometer schafften wir in 40 Minuten. Dort ließ Kostja mich an einer großen Raststätte raus und fuhr weiter zu seiner Familie aufs Dorf.

An der Tankstelle standen ziemlich viele LKWs, die ich alle abklapperte. Keiner der Fahrer wollte mich mitnehmen. Dann fuhr ein Truck mit ukrainischem Kennzeichen an die Zapfsäule. Der Fahrer meinte, er würde mich mitnehmen, könne aber nur noch etwa drei bis vier Stunden weiterfahren und müsse dann pausieren, weil er nach Tachograph fahre, also bestimmte Lenk- und Ruhezeiten einhalten müsse. Vier Stunden Fahrt, das entspricht etwa 300 Kilometern, er würde mich also meinem Ziel ein großes Stück näherbringen. Ich stieg ein.

An den Namen des Fahrers kann ich mich leider nicht erinnern. Er sah jedoch beinahe aus, wie die Torwartlegende Sepp Maier, nur braugebrannt und ungepflegt. Von dem was Sepp sagte verstand ich fast nichts. Ob es daran lag, dass er ukrainisch sprach oder ob ich einfach zu müde war, um ihm zu folgen, weiß ich nicht. Zum Glück erzählte er nicht viel und so schwiegen wir uns die meiste Zeit an.

Der Regen der letzten Tage hatte die trockenen Steppen, an denen ich vorbeifahre, in saftiges Grün verwandelt. Nun, auf dem Weg nach Novosibirsk grasen ab und zu Rinderherden nahe der Straße, begleitet von berittenen Hirten. Es gibt hier in Sibirien tatsächlich echte Cowboys. Ob sie wohl Marlboro rauchen? Dann gibt es auf einmal unzählige Menschen, die gebückt irgendwo in den Wiesen hocken. Was sie dort tun wurde mir erst etwas später klar. Sie sammeln eine Art Walderdbeeren, um sie dann am Straßenrand an vorbeikommende Autofahrer zu verkaufen.

Als wir den Novosibirskaja Oblast erreichen ändert sich die Landschaft. Es gibt nun deutlich mehr Wälder und immer wieder Seen, kleine Tümpel und Sümpfe. Und noch etwas ist neu. Am Straßenrand gibt es in regelmäßigen Abständen Mülleimer und große Hinweisschilder mit der Aufschrift „Schützt den Wald“. Sollte die regionale Verwaltung hier etwa zu der Erkenntnis gelangt sein, dass man Natur nicht nur verschmutzen sondern auch schützen kann? Mülleimer und Hinweisschilder sind immerhin ein Anfang.

Dörfer werden nun immer seltener. Die Region scheint mit Fisch gesegnet zu sein. Ab und zu fahren wir an Autos vorbei, an denen man geräucherten Fisch kaufen kann. Auch ein paar freilaufende Pferdeherden sind zu sehen. Etwa 500 Meter neben der Autobahn führt seit ein paar Hundert Kilometern eine Reihe aus kleinen gelben Warntafeln entlang. Von hier fließt das berühmte sibirische Erdgas bis nach Westeuropa und sorgt dort für warme Stuben in kalten Wintern.

Nach etwa vier Stunden Fahrt hält Sepp kurz an. Er zieht irgendwelche Kabel unter dem Armaturenbrett hervor und fummelt daran herum. Zum Schluss schiebt er eine aufgebogene Büroklammer in eines der Kabel und schiebt mit einem zufriedenen Lächeln alles wieder hinter die Verkleidung. So fahren wir weiter, vielleicht eine oder zwei Stunden. Dann wiederholt er die Prozedur – nur, dass er die Büroklammer diesmal wieder entfernt. Kurz darauf fahren wir an einer Polizeikontrolle vorbei. Er scheint etwas aufgeregt zu sein, aber das legt sich schnell, als wir die Kontrolle passiert haben. Später erklärt er mir, was es mit dieser Büroklammer auf sich hat. Er überbrückt damit irgendeinen Kontakt und trickst den Tachographen aus. Dieser zeichnet dann die Fahrt nicht mehr auf, sondern verbucht die Zeit als Ruhephase. Kann man die Technik wirklich so leicht überlisten?

Und noch etwas ist komisch an seiner Fahrweise. Er beschleunigt seinen LKW immer auf ca. 90 km/h, nimmt dann den Gang heraus, lässt den Truck auf 50 bis 60 km/h ausrollen und beschleunigt dann wieder. Der Mann wird mir ein wenig unheimlich. Inzwischen ist es kurz nach 22:00. Die von Sepp zu Beginn angekündigten drei bis vier Stunden, die er noch fahren darf, sind lange überschritten. 60 Kilometer vor Novosibirsk fährt er auf einen Rasthof und macht sich bettfertig. Ich bin stinksauer. Warum fährt er nicht einfach noch eine Stunde weiter und bringt sich selbst und mich ans Ziel? „Das geht nicht, ich muss die Ruhezeiten einhalten.“, sagt Sepp. Ich stapfe zurück zur Straße um zu versuchen, jemanden zu erhaschen, der mich noch an diesem Tag bis Novosibirsk bringt.

Aussichtslos! Es ist schon fast dunkel und niemand hält mehr an. Und noch dazu werde ich von den Mücken fast aufgefressen. Die vielen Tümpel und Sümpfe in der Umgebung bieten perfekte Bedingungen für die Eiablage und die armen Tramper, die nach Osten wollen, sind eine noch bessere Nahrungsquelle. Innerhalb von 10 Minuten habe ich gefühlte 200 Mücken erschlagen und bin von ebensovielen gestochen worden. Ich flüchte zurück zu Sepp und frage, ob ich bei ihm im LKW schlafen kann. Wir trinken noch mit ein paar anderen Truckern ein Feierabendbier und dann krabbeln wir auf die Liegen im hinteren Teil der Fahrerkabine. Eigentlich ist es gar nicht so unbequem. Man hat deutlich mehr Platz, als beispielsweise in einem Schlafwagen. Wenn Sepp doch nur nicht so erbarmungslos schnarchen würde. Vor dem Einschlafen frage ich noch, wann er am nächsten Morgen weiterfahren will. „Aach!“, winkt Sepp ab, „Spät! Erst gegen 10:00 oder 11:00, ich muss jetzt 12 Stunden Pause machen.“

Um 8:00 morgens sitzt Sepp wieder am Steuer und fährt weiter. Nach 20 Minuten hält er an der nächsten Tankstelle. „So“, sagt er, „weiter kann ich nicht fahren, jetzt muss ich erstmal Pause machen.“ Ich habe genug von Sepp, verabschiede mich und steige aus. An der Straße wartet noch ein Tramper. Er ist aus dem Kaukasus und will zu seiner Freundin nach Krasnojarsk. Ich spreche den Fahrer eines PKWs an, der gerade tankt. „Wie viel zahlst du denn?“, will der Mann wissen. Ich überlege kurz ob es mir die letzten Kilometer noch wert sind, dafür Geld zu zahlen und sage dann: „200!“ (200 Rubel = ca. 5 €)

Für die 200 Rubel werde ich sogar bis zum meinem Couchsurfing-Host vor die Haustür gefahren. Der, der mich da mitnimmt ist Polizist. Er und sein Kollege sind gerade auf dem Weg zur Arbeit und haben neben mir noch einen weiteren zahlenden Fahrgast auf der Rückbank, um sich etwas dazuzuverdienen. Den Rest des Tages verbringe ich mit Ivan und seiner Freundin Vera. Am Abend machen wir gemeinsam Pelmeni – die Echten, die Sibirischen.

Ein Kommentar to “Per Anhalter… zum Baikalsee”

  1. Sascha O. says:

    Mensch…da kommt Neid auf. (Nicht nur wegen der Pelmeni)

    Gute Reise noch!!