Kunterbunte Seilbahn, traumhafte Aussicht und Kapitalismus

geschrieben von am 21. May 2010 um 3:37 pm

DSCN4300„5 Rubel“ steht auf dem Schild. Man bezahlt, wartet auf die nächste Gondel, springt hinein. Scheppernd schließen sich die knallroten Türchen und man schwebt davon.

Unweit der Bushaltestelle „Tramplin“ (zu Deutsch: Sprungschanze) führt eine kleine Seilbahn hinab zum Fluss Ufimka, der sich dort unten durch sein herrlich grünes Tal schlängelt. Die knapp zehnminütige  Fahrt in einer der gelben, blauen oder roten Gondeln vergeht wie im Flug und gibt einen traumhaften Blick frei, über das Tal, das dahinterliegende Waldgebiet und ein paar romantische Siedlungen.

DSCN4316Zerstört wird diese schöne Aussicht durch die rostige Bauruine einer Skisprunschanze, die wie ein außerirdisches Flugobjekt mit ausgefahrener Gangway hässlich in den Himmel ragt. Schon vor vielen Jahren wurde dieser Schanzenneubau wegen Konstruktionsfehlern abgebrochen und rottet seit dem vor sich hin. Der damals bereits präparierte Lande- und Auslaufhügel für die Skispringer ist inzwischen von allerhand Gräsern und Sträuchern überwuchert. Den großen Riss, der für das Schanzenprojekt in den Wald geschlagen wurde, kann aber auch das neue Grün nicht überdecken.

Die kleine Seilbahn, eigentlich gedacht, um die Skispringer zurück auf den Berg zu bringen, befördert stattdessen heute ufaer Ausflügler, denn das Ufer der Ufimka lädt Viele zum Wandern, Grillen und Verweilen ein. Wer allerdings nach dem Würstchenbrutzeln – dick und rund gefressen – wieder mit der Bahn den Berg hinauffahren will, dem lacht der Kapitalismus höhnisch ins Gesicht. Statt des Spottpreises von 5 Rubeln (ca. 0,13 €) für die Bergabfahrt, bezahlt man bergauf den vierfachen Preis. Alternativ kann man den Berg natürlich auch zu Fuß erklimmen und dabei gleich die überschüssigen Pfunde von der Grillfeier wieder abtrainieren.DSCN4305


Die Gefahr aus der Tiefe – Gullydeckel

geschrieben von am 18. May 2010 um 7:02 am

Da läuft man nichtsahnend über eine holprige russische Straße und schwupps – wird man von einem Gully verschlungen.

Was sich vielleicht gerade halbwegs lustig und unglaubwürdig anhört, ist in Wahrheit ein gefährliches Unterfangen.

Gullys sind in Ufa eher eine Rarität, da Wassermassen hier in den Fluss Belaja abzufließen haben und waren daher bis vor kurzem nicht der Rede wert. Aber schauen sie auch noch so unschuldig aus, sie haben eine schwarze Seele und offensichtlich Hunger auf Menschenfleisch.

DSCF0334Als ich Samstagabend mit einem leckeren Eis ahnungslos aus einem Supermarkt in einem Nachbarort Ufas kam und unvorsichtigerweise meine Füße auf den Rand des besagten Deckels setzte, öffnete sich dieser plötzlich hinterlistig nach innen und ich rutschte in Lichtgeschwindigkeit mit meinem Körper tief ins Erdreich. Ich sah einen langen dunklen Tunnel vor mir und vor meinem inneren Auge raste zeitgleich mein Leben in Bruchteilen einer Sekunde an mir vorbei. Ich dachte: das wars. Ein Gully als Endstation. Da machte es plopp, ein Schmerz zog durch mein Hinterteil und meine Achterbahnfahrt endete so plötzlich, wie sie begann. Ich konnte gerade so dank rundem Po und dicker Tasche um den Arm den Komplettabrutsch ins Ufas Kanalisation abwehren.

Zwei starke Männer zogen mich in Windeseile aus dem Untergrundreich und verschlossen den hungrigen Deckel wieder. Meine Beine machten schlapp und weinten vor Schmerz dicke Tränen voller Blut. Der Schock schüttelte mich: was war passiert? Wieso war es passiert? Was hätte nicht noch alles mehr passieren können, wäre mein Kopf nicht schlauerweise vor der schweren Eisenplatte zurückgewichen, die ihn hätte zerquetschen können!? Aber mein Schutzengel hatte offensichtlich noch weiteres mit mir vor und rettete mich aus der Misere.

Ein paar Jod- und 75%ige Spritwickel später ging es mir schon viel besser. Geschundene Beine und blauen Hintern nehme ich lieber in Kauf, als die Erde plötzlich aus einer anderen Perspektive betrachten zu müssen – aus der Froschperspektive tief in einem Gully.

Dieses Wochenende bin ich mal so richtig tief gesunken und ich bin froh, dass es mir gut geht. Auf Gullydeckel werde ich aber mit Sicherheit nicht mehr treten. Ich laufe mittlerweile offeneren Auges durch die Gegend und bemerke, dass sich doch mehr Gullydeckel als gedacht in der Stadt angesammelt haben. Allerdings befinden sie sich hinterlistig versteckt auf Sportplätzen oder Gehwegen, um unschuldige Menschen zu verschlingen. Es ist, wie ich gesagt habe – Ufas Schachte sind hungrig…

Ein russisches Sprichwort beschreibt den Sachverhalt übrigens sehr treffend: „Раз – два – три по колодцам не ходи“.

Also liebe Leute, nehmt euch schön in Acht –> Ras, dva, tri – über Gullys läuft man nie!DSCF0335


Zeckenalarm in Ufas Gefilden

geschrieben von am 12. May 2010 um 6:14 pm

Nach dem Winter kommt in Ufa der Sommer, nicht etwa der Frühling. Und genauso explosionsartig wie das Grün auf den Wegen aus dem Boden schießt, vermehren sich auch die kleinen unbeliebten Ungeziefer in Wäldern und Wiesen. Mücken und Zecken sind bereit, Ekel und Schrecken zu verbreiten.

Nach dem ganzen Großstadtlärm zog es uns am freien Wochenende des ersten Mai, dem „Tag der Arbeit“ in die Natur. Entspannen und frische Luft wollten wir tanken. Nach dem Großstadtjungle einfach wieder pures Überleben trainieren. Mit Suppekochen über selbstentfachtem Feuer, Ausblick ins Grüne, Liedersession am nächtlichen Lagerfeuer…

Doch gerade dort, wo es den Stadtmenschen zur Erholung hinzieht, gefällt es auch der gemeinen Zecke. Hinterlistig überfällt sie einen und saugt einem das Blut aus. Ja, das ist unschön, aber es ist nun einmal nur eine Zecke. Ab und zu überfällt sie einen, man entfernt sie und macht sich nicht all zu viele Gedanken – denn meistens ist man auch gegen den Erreger der Hirnhautentzündung geimpft. Dachte ich…

Als ich nach dem Wasserholen auf einmal panisch herumhüpfende russische Männer auf mich zueilen sah dachte ich, es wäre etwas Schlimmes passiert. Man fragte nach einem Telefon, um sofort einen Arzt zu rufen: ein Holzbock hatte sich am Bauch eines Mannes gemütlich gemacht. Er wurde fachmännisch mit Öl begossen – denn scheinbar solle die Zecke daraufhin vor lauter Angst sofort den Tatort verlassen… Da eine Pinzette nicht vorhanden war, entfernte man den Blutsauger am Ende mit Nadel und Faden.

Am nächsten Morgen entdeckte auch ich auf meinem Schopf einen dicken Zeckenlaib. Und hätten die gestandenen Männer am Vortag nicht solche Panik verbreitet, dann wäre mit Sicherheit auch ich ruhig geblieben. Ich entschied mich für die altbewährte Methode Pinzette und fragte einige der vielzähligen wartenden Touristen am Bahnhof. Auch diese wurden sofort aufgeregt: „Eine Zecke? Dann musst du ins Krankenhaus!  Du musst die untersuchen lassen! Die übertragen hier doch alle Krankheiten!“ Okay, jetzt war ich wirklich unsicher, ließ mir den Parasiten alsbald entfernen und steckte sie in eine leer getrunkene Wasserflasche, um sie bis zum nächsten Tag mit mir rumzutragen.

Mir wurde aufgetragen, mein neues „Haustier“ am nächsten Tag sofort in „San Epidem Stanzija“ zu bringen. Offensichtlich wurde das nicht nur mir gesagt….

Ganz Ufa rennt mittlerweile ins Forschungszentrum für epidemiologische Erkrankungen. Für insgesamt 260 Rubel wird das kleine Tier auf den Erreger der Hirnhautentzündung (Frühsommer-Meningoenzephalitis – FSME) untersucht. Nach fast einer halben Stunde Wartezeit konnte ich endlich den Blutsauger aus den Händen geben. Eine gestresste Dame verfrachtete die Zecke in ein kleines Untersuchungsglas und beschriftete es mit einer Nummer. Daraufhin traf man in der nächstgelegenen Bank erneut die ganzen vor einem Wartenden beim Geld bezahlen und am nächsten Tag konnte telefonisch das Ergebnis der Untersuchung erfragt werden. Diese Prozedur ist von Nöten, um bei einem positiven Ergebnis eine kostenlose Behandlung gegen die Hirnhautentzündung zu bekommen.

Warum aber diese überteuerten lebensverlängernden Maßnahmen für die ungeliebte Zecke, wenn man doch einfach präventiv impfen könnte? Weil es den Krankenhäusern eine Menge Geld bringt und weil die „Gebissenen“ lieber für 260 Rubel den Parasiten untersuchen lassen, als später viele tausende von Rubeln für eine Behandlung der Hirnhautentzündung zahlen zu müssen.

Auf jeden Fall habe ich jetzt Gewissheit, dass meine Zecke negativ war – und so wie die Zecke, so auch der Gebissene. Und auf einen Ausflug in die Natur fahre ich nie wieder ohne Pinzette. Öl über eine saugende Zecke zu gießen bewirkt nämlich nur, dass sich die Zecke vor Angst erbricht und damit auch den gefährlichen Erreger ins Blut des Menschen überträgt. Vielleicht sollte man dafür mal Aufklärungsmaßnahmen ergreifen… Und leider schützt auch die für russische Verhältnisse leicht überteuerte Untersuchungsmaßnahme nichts gegen die wesentlich verbreitetere Borreliose. Einen Zeckenbiss nehme ich jetzt aber definitiv nicht mehr auf die leichte Schulter…


Kwas-Saison eröffnet

geschrieben von am 6. May 2010 um 1:11 pm

DSCN4327Jetzt gibt es sie wieder an jeder Straßenecke zu sehen, die kleinen gelben Tankwagen, aus denen im Sommer das Erfrischungsgetränk „Kwas“ angeboten wird. Dieses Gebräu ist vor allem in Russland und der Ukraine sehr beliebt und wird durch Gärung der Grundzutaten Wasser, Roggen und Malz gewonnen. Das Wort Kwas bedeutet soviel wie „saurer Trank“, denn Kwas hat einen leicht säuerlichen Geschmack. Es enthält 0,05 – 1,44 % Alkohol und wirkt verdauungsfördernd. Ein kleines Glas des malzbierfarbenen Getränks ist schon für acht Rubel (etwa 0,2 €) zu haben. Einen ganzen Liter, abgefüllt in eine Flasche, kann man zu Preis von 28 Rubel (0,7 €) mit nach Hause nehmen.


Insider- Tipps Ufa Nr. 1 – МеХаноид

geschrieben von am 5. May 2010 um 6:39 am

Unweit von den ganzen Edel – Electro- Schuppen, die sich zu Hauf in Ufa etabliert haben, erlebten wir gestern eine ganz andere Seite Ufas. Eine eher schwarze, spookige…

Der Club „Element“, im Hinterhof eines großen Einkaufshauses gelegen, macht auf den ersten Blick einen ranzigen, unheimlichen Eindruck. Ein zerbröckeltes altes einsames Parkhaus empfängt den Konzertbesucher und führt ihn zur verriegelten und dunkel verhüllten Eingangstür des „Клуб Элемент». Der Türsteher heißt uns eher minder freundlich willkommen und zieht uns ausnahmsweise nicht Wasserflaschen, sondern Streichhölzer, Tabletten und Kaubonbons aus den Taschen. Mit einem neongelben Textmarker werden wir „markiert“, wir sind drin. Circa 50 Gäste tanzen vor der klitzekleinen Bühne. Der Raum erinnert ans LaBim. Ein alter „versiffter“ Club mit einem ganz besonderen Charme. Die Wände sind mit Schwarzlichtfarben bemalt, die im dunklen Raum leuchten. In der Mitte steht eine runde Bar, voll mit Büchsenbier gefüllt und einem gelbhaarigen Kellner, dessen Haare ebenfalls hervorragend im Schwarzlicht funkeln. Die Menge ist bunt gemischt. Punks, Gruftis, Rocker… Es scheint wie eine Kostümparty – bunt bemalte und aufgedrehte Menschen in extremen Lackoutfits springen mit Perücken durch die Gegend. Ein Ort der Toleranz – egal wie du dich fühlst, leb es aus, hier bist du willkommen,  bist unter deinesgleichen.

Die Band erscheint auf der winzigen Bühne. Fünf Typen wie aus einem Comic. Ein brüllender und röhrender Punk mit Springerstiefeln und Irokesen, ein barbrüstiger und langhaariger Metaler am Bass, ein durchgedrehter Streber mit Karo- Westover, Schüttelfrisur und Hornbrille, der Elektroklänge aus einem PC zaubert, ein Freak mit verschwitzten Haaren, e-Gitarre und Wahnsinnsblick und eine schwarz bekleidete Edelgruftine mit Opernstimme. Verschiedener könnten die Mitglieder einer Band wahrscheinlich nicht sein, aber spannender anzuschauen auch nicht.band


band2Die ersten Elektroklänge dringen an unsere Ohren. Elektromusik mit progressiven Live- Guitarklängen, einer aggressiven Man-vocal und einer lyrischen Frauenstimme. Schwarz angehauchter Hardelectro mit Themen über Weltuntergang und die Spiritualität. Die 50 Fans tanzen wild, ergeben sich den scheinbar wohlbekannten harten Klängen, springen, schreien, wiegen sich, küssen sich, bemalen sich… Ein Spektakel der ganz besonderen Art.

Auch als Nicht – Fan dieser extremen Musikrichtung – ich bin begeistert von der Begeisterung. Diese Menschen reißen mit, stecken an. Das deutsche „Eins zwei Polizei“ bringt die kleine Masse noch mehr zum grölen und  schwitzen. Wir sind verzückt von der Andersartigkeit des Clubs und der Band. Nach dem Konzert werden wir noch schnell vorgestellt. Deutsche Zuschauer im Publikum, das macht die Band stolz. Uns auch – dass wir uns überwunden haben, diesen düsteren Eingangsort zu durchqueren und uns auf diese fremde Musik einzulassen. Uns wäre etwas Großartiges entgangen! Hörbeispiel   Mexanoid

Und wer auch einmal diese spookige Seite Ufas erleben möchte, findet den Klub Element in der Лесотехникума 49/1 (Haltestelle цоколь ТК Октябрьский).

Die Band МеХаноид tritt übrigens das nächste Mal beim Rammstein- Coverfestival im Club Element auf… Hier geht’s zur offiziellen Homepage der ufaer Band: http://www.mexanoid.ru/ .


In Russland ist der Kunde nicht König – noch nicht

geschrieben von am 3. May 2010 um 6:49 pm

Unfreundliche Verkäufer? Mies gelaunte Kellner? Ja, das gibt es wohl überall auf der Welt und wer möchte es verübeln. Schließlich haben wir doch alle mal einen schlechten Tag.

In Russland hat der Poet allerdings manchmal den Eindruck, dass jeder Tag ein schlechter Tag ist. Wenn der Konduktor mal wieder grimmig das Fahrgeld einsammelt, wenn die Kassiererin nicht einmal den Blick hebt, während sie das Rückgeld herausgibt und wenn die Frau am Ticketschalter brüllt, ob man denn nicht zuhören könne, wenn man noch einmal nach der Abfahrtzeit des Busses gefragt hat, dann…ja dann überlegt man, ob ein solches Verhalten denn nicht geschäftsschädigend ist.

Auch als ich vorgestern Abend in ufaer Brauhaus beim deutschen Stammtisch saß, hatte ich ein weiteres Erlebnis in der Kategorie „der Kunde kann mich mal“. Einer der Gäste hatte um ein Gespräch mit der Geschäftsführerin gebeten, weil in seinem Salat nicht nur Nüsse, sondern auch mehrere Stückchen Nussschale gewesen waren, die ihm beim Daraufbeißen fast die Zähne gesprengt hätten.

Die Restaurantleiterin kam in Begleitung der Küchenchefin an unseren Tisch und hörte sich mit finsterer Mine die Beschwerde an. Ungläubig nahm sie ein Stück Nussschale vom Teller der Kundin, das diese zuvor mit schmerzverzerrtem Gesicht aus ihrem Mund genommen und als Corpus Delicti auf ihrem Tellerrand drapiert hatte, knetete es zwischen ihren Fingern, nickte zustimmend und ließ es dann zu Boden fallen. Das war alles. Sie gelobte zwar, beim nächsten Mal geschälte Nüsse zu bestellen, verschwand dann aber ohne ein Wort der Entschuldigung und auch – wie es vielleicht in Deutschland üblich gewesen wäre – ohne eine kleine Entschädigung „auf Kosten des Hauses“ anzubieten.

Scheinbar teilen auch die Russen meine Erfahrungen und machen sich über die Unfreundlichkeit lustig. Heute Morgen auf dem Weg zur Uni stiegen vier Jugendliche in meinen Bus ein. Drei von ihnen setzen sich auf noch freie Plätze, dem Vierten blieb nur der Sitz des Konduktors. Zur Belustigung seiner Freunde schlüpfte er nun kurz in die Rolle des Fahrkartenverkäufers und vergaß dabei auch nicht, den obligatorischen grimmigen Gesichtsausdruck zu mimen. Am Jauchzen seiner Freunde war zu erkennen – er machte seine Sache gut.

Zur Verteidigung der Ticketverkäufer muss allerdings noch erwähnt werden, dass ihre Griesgrämigkeit sofort in unendliche Hilfsbereitschaft umschlägt, wenn man sie nach dem Weg fragt. Ihr wisst wo ihr hinwollt, aber nicht wo ihr aussteigen müsst? Kein Problem. Der Konduktor hilft bestimmt und wenn er es selbst nicht weiß, fragt er jeden anderen Fahrgast um Rat, bis er die richtige Haltestelle in Erfahrung gebracht hat.

Auch scheinen zumindest die großen Einzelhandelsketten inzwischen die Vorteile eines freundlichen Auftretens ihrer Angestellten gegenüber den Kunden erkannt zu haben. Immer öfter wird man nun auch in Ufa beim Einkauf mit einem lustlosen „beehren Sie uns wieder“ verabschiedet. Die glaubwürdige Wortbetonung und das Lächeln bedürfen aber noch einiger Übung. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis der Kapitalismus auch in Russland den Kunden zum König gemacht hat. Zar wird er wahrscheinlich niemals werden.


Russische Studentenheime – von den Schwierigkeiten ein Interview zu bekommen

geschrieben von am 29. April 2010 um 10:06 am

Deutsche Studentenheime sind eine echte Alternative zu einer WG oder einer privaten Wohnung. Ein kleines Zimmer, Kochnische und ein eigenes Bad mit Duschflatrate kann man beispielsweise in Halle für weniger als 200 € sein Zuhause nennen.

In Ufa ist das ein wenig anders. Wer aus Ufa kommt und hier an der Uni studieren will, wohnt in der Regel weiterhin bei seinen Eltern, denn für eine eigen Bleibe fehlt den meisten schlichtweg das nötige Geld. Kommt man vom Land oder aus einer anderen Stadt, dann bleibt oft nur das Studentenheim. Dort wohnt man zwar nahezu kostenlos (für etwa 4 € pro Monat), muss aber Einschränkungen hinnehmen, die für den Poeten und wahrscheinlich auch für die meisten deutschen Leser unvorstellbar sind.

Streng nach Geschlechtern getrennt, teilen sich dort vier bis acht Studenten ein Zimmer. Neben den Betten gibt es in diesen Räumen nur einen Tisch, ein paar Hocker und einen kleinen Schrank. Küche und Bad müssen sich etagenweise geteilt werden. Abgesehen von der damit praktisch nicht vorhanden Privatsphäre, fehlt auch noch etwas, dass für ein Studium eigentlich unentbehrlich ist – ein ruhiger Platz zum Lernen.

Wer das Studentenheim zu welcher Uhrzeit betreten darf und wer nicht, ist genau geregelt. Man sollte vielleicht vorweg erwähnen, dass auch russische Studenten das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben und damit volljährig sind. Um 23 Uhr wird das Heim abgeschlossen und jeder Bewohner muss bis dahin auf seinem Zimmer sein. Um 24 Uhr gibt es die letzte Chance, ins Haus zukommen. Wer bis dahin nicht zurück ist, kommt nicht mehr rein, muss bei Freunden oder im Freien übernachten und kann frühestens wieder um sechs Uhr morgens auf sein Zimmer.

Damit nicht genug. Wer nicht im Studentenheim wohnt, dem ist es eigentlich nicht gestattet es zu betreten. Besuche von Männern in einem Frauenzimmer sind generell ausgeschlossen. Mit eben diesen Regelungen kam der Poet in der letzten Woche gleich zwei Mal in Konflikt.

Ich recherchiere gerade zum Thema „Menschen mit Behinderungen in Ufa“ und wollte dazu ein Interview mit Lilja, einer gehbehinderten Studentin machen. Im welchem der Studentenheime und auf welcher Etage sie wohnt, hatte ich bereits in Erfahrung bringen können. Am Eingang saßen zwei Frauen in einem kleinen Pförtnerhäuschen und blickten mich schon beim Eintreten finster an. Noch gut gelaunt, fragte ich sie nach Liljas Zimmernummer. „Wohnen sie hier?“ wollte eine der Damen wissen. Ich verneinte und erklärte, ich wolle mit der Studentin nur kurz sprechen und sie um ein Interview bitten. „Nein! Wenn sie hier nicht wohnen, dürfen sie hier auch nicht rein“, kam als Antwort. Auch weitere Bitten und Erklärungsversuche blieben erfolglos. Die Damen blieben hart, hatten allerdings die geistreiche Idee, ich könne mich ja vor den Eingang stellen und die vorbeilaufenden Studenten befragen. Wenn einer von ihnen Lilja kennt, dann könne er ja hoch gehen und Lilja hinunterschicken.

Was blieb mir anderes übrig. Ich tat also wie mir empfohlen und fragte etwa 15 Minuten lang jeden der ein- und ausgehenden Studenten nach Lilja aus der zweiten Etage. Natürlich kannte sie niemand. In einem Haus mit mehreren hundert Studenten ist die Wahrscheinlichkeit zufällig den Richtigen zu treffen auch eher gering.

Also zurück zu den Pförtnerinnen. Nach weiteren fünf Minuten Betteln kramte eine der Frauen plötzlich eine Liste mit den Namen aller Studenten und ihren Zimmernummern unter dem Tisch hervor. „Na also“, dachte ich, „es geht ja doch“. Sie suchte eine Weile und wurde fündig. Aber anstatt mich nun hineinzulassen, beorderte die Dame einen der vorbeilaufenden Studenten zu sich und wies ihn an, bei Lilja zu klopfen und sie zum Eingang zu schicken. Nach kurzer Zeit kam er unverrichteter Dinge wieder zurück. Lilja war nicht zu Hause.

Zwei Tage später – ich hatte inzwischen auf anderem Wege Kontakt mit ihr aufgenommen – war ich wieder im Studentenheim um das Interview zu machen. Diesmal verzichtete ich darauf, die Pförtnerinnen zu fragen und drückte mich an ihrem Häuschen vorbei zur Treppe. Sofort wurde ich zurückgepfiffen und zur Rede gestellt. Es half nichts. Lilja musste sich auf Krücken die Treppe hinunter quälen und mich am Eingang abholen. Nachdem auch sie noch eine Weile auf die Pförtnerin eingeredet hatte, durfte ich dann endlich hinein.

Wir hatten gerade mit dem Interview begonnen, da ging mit einem Ruck die Zimmertür auf. Wieder die Dame vom Empfang. Sie schnaufte, wir müssten sofort aufhören und ich solle das Heim verlassen. Wenn ich ein Interview machen wolle, dann müsst ich mich an den Direktor der Universität wenden. Ohne seine Erlaubnis wäre das auf keinen Fall möglich. Wohl oder übel mussten wir uns für das Gespräch einen anderen Ort suchen.

All die beschriebenen Regeln empfinden auch viele russische Studenten als nicht mehr alters- bzw. zeitgemäß. Trotzdem stellt das Studentenheim für viele von ihnen die einzige Möglichkeit dar, sich ein Studium überhaupt leisten zu können.

Wohngemeinschaften gibt es in Russland auch. Allerdings wird sich dort – ebenfalls aus Geldmangel – meistens nicht eine Wohnung geteilt, in der jeder Mitbewohner sein eigenes Zimmer hat. Stattdessen schlafen auch in WGs oft mehrere Menschen in einem Zimmer.


So sieht er aus….

geschrieben von am 28. April 2010 um 5:31 am

DSCF0297der russische Frühling.

Nachdem wir letzten Donnerstag schon mit Röckchen und jackenfrei bei sommerlichen 28°C durch die Sonne hüpfen konnten, erwartet uns heute dieses Schreckensbild beim morgendlichen Fensterblick. Schnee!

Ein deutsches Lied prophezeit schon so schön:

„April, April, der weiß nicht, was er will.

Bald schaut der Himmel trübe drein,

bald Regen und bald Sonnenschein.

April, April, der weiß nicht, was er will.“

So fühlen auch wir uns mittlerweile hier. Sommer, regenwaldartige Regengüsse, frostige Winde und nun kehrt das unverhoffte Weiß zurück – aber im Zeitraffer, alles innerhalb einer Woche!

Meine Freudenschreie am Donnerstag über die spontane Beendigung der zentral regulierten Konstantbeheizung bedauerte ich schon gestern.  Aber wer glaubt denn schon den neunmalklugen Russen, dass es im April wirklich mindestens einmal 25°C werden und dann wieder der Schnee folgt. Wer glaubt denn das? Gott sei dank schaltete die zentrale Heizstelle sofort die Heizapparate wieder an. So froh war ich, am Sonntag nach den Regengüssen auf einmal das Grün vor dem Fenster explodieren zu sehen, erste Frühjahrsblüher zu erblicken. Nun schlafen sie wieder unter der kleinen Schneeschicht – da ist in Deutschland schon fast der Flieder wieder verblüht.

Hoffentlich ist in zwei Tagen wieder alles getaut, die Erde trocken und mindesten 18°C ;) Der 1. Mai – „Tag der Arbeit“ scheint mittlerweile eher „Tag des Tourismus“ zu heißen und lockt Jung und Alt zu Wanderungen und Campierungen in die Natur. Wir werden sehen! Auch wir wollen den Wandertruppen ins „Grüne“ folgen…


Bus ist nicht gleich Bus

geschrieben von am 17. April 2010 um 10:26 pm

In Ufa gibt es keine U- oder S-Bahnen, die dazu beitragen könnten, die völlig überfüllten Straßen zu entlasten.  Der ÖPNV wird ausschließlich durch Busse und einige wenige Straßenbahnlinien gewährleistet. Zum Ausgleich dieses Mangels an verschiedenen Verkehrsmitteln gibt es in Ufa jedoch eine unvorstellbare Vielfalt an Bustypen, Fahrpreisen und Möglichkeiten das Ticket zu bezahlen. Der Ufapoet wird an dieser Stelle versuchen, ein wenig Licht in diesen Dschungel zu bringen.

DSCN4227Zunächst gibt es da die Busse des staatlichen baschkirischen Verkehrsunternehmens „Bashavtotrans“. Sie machen einen relativ modernen Eindruck, fahren jedoch ziemlich langsam. In diesen Bussen gibt es einen sogenannten Konduktor, der die Aufgabe hat, durch den Bus zu laufen und den Fahrgästen die Tickets zu verkaufen. Seit kurzem bezahlt man hier für eine einfache Fahrt 15 Rubel (vorher 10 Rubel). Diese 50-prozentige Preiserhöhung ist Gerüchten zufolge auf die momentan sehr angespannte Finanzsituation von Bashavtotrans zurückzuführen. Bemerkenswert ist, dass in diesen Bussen neben den Fahrern und Konduktoren auch Konduktor-Kontrolleure arbeiten, die mit der wichtigen Aufgabe betraut sind, unangekündigt zuzusteigen und zu überprüfen, ob die Fahrkartenverkäufer auch tatsächlich jedem Fahrgast ordnungsgemäß eine Fahrkarte verkaufen. Das ist der „Bashkirien way of ABM-Maßnahme“.

DSCN4226Deutlich häufiger anzutreffen sind die „Gazelka“ genannten weiß oder gelb lackierten Kleinbusse. Der Name leitet sich vom Automobilhersteller „GAZel“ ab, wird aber auch für die ebenfalls sehr verbreiteten Kleinbusse anderer Hersteller verwendet. In diesen Fahrzeugen finden circa 15 Passagiere Platz. Man erreicht mit diesen Bussen sein Ziel am schnellsten, reist aber auch am gefährlichsten, denn der § 1 der deutschen StVO ist russischen Busfahrern leider völlig unbekannt. Wer aussteigen möchte muss seinen Haltewunsch laut und deutlich dem Fahrer mitteilen, da diese Gazelkas nicht immer jede Station ansteuern. Bezahlt wird hier, indem man dem Fahrer beim Aussteigen 15 Rubel übergibt. Allgemein ist es in Russland regional sehr verschieden, ob beim Ein- oder beim Aussteigen in einen Kleinbus bezahlt werden muss. Wer also in Ufa schon beim Betreten des Busses bezahlt, outet sich sofort als „Ausländer“.

DSCN4219Am häufigsten anzutreffen sind in Ufa die „Marschrutkas“. Ebenso wie die Gazelkas werden sie von vielen kleinen Privatunternehmen betrieben. Diese etwas in die Jahre gekommenen Busse bieten Platz für 25 bis 30 Personen und eine Fahrt kostet 10 Rubel. Auch hier wird beim Aussteigen bezahlt.

DSCN4230Weiterhin gibt es in Ufa die in Deutschland nahezu unbekannten Trolleybusse. Dies sind Busse, die anstelle eines Verbrennungsmotors von einem Elektromotor angetrieben werden. Den benötigten Strom beziehen sie – ähnlich einer Straßenbahn – mit Hilfe eines Stromabnehmers aus der Oberleitung. Diese Fahrzeuge sind zwar sehr umweltfreundlich, aber bereits so alt, klapprig und langsam, dass sie eigentlich nur noch als Verkehrshindernis und weniger der Personenbeförderung dienen. Eine Fahrt kostet hier seit der letzten Preiserhöhung zu Beginn des Jahres 9 Rubel, die von einem Konduktor eingesammelt werden.

DSCN4234Als letztes soll hier noch die Gruppe der Uraltbusse Erwähnung finden. Dies ist eine Mischung von Fahrzeugen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, die alle ihre ganz eigenen Besonderheiten haben. Da gibt es zum Beispiel die Japanischen: Unbequeme, viel zu niedrige Sitze und unzählige wirr angeordnete kleine Dachluken, deren Sinn sich dem Fahrgast nicht so ganz erschließt. Auf jeden Fall sind sie als Notausstieg und zur Belüftung völlig ungeeignet. Ebenfalls zu dieser Gruppe gehören die Mercedesbusse. Vor ungefähr 50 Jahren in Deutschland ausgemustert, tun sie hier noch immer mehr oder weniger zuverlässig ihren Dienst. Der Fahrer wird Tag für Tag vom DEKRA-Aufkleber über seinem Kopf begrüßt und auf den Außenwänden klebt bis heute der Werbeschriftzug der Autolackiererei „Starke & Höcker“. Eine Fahrt mit einem Exponat dieser internationalen Oldtimersammlung kostet 6 Rubel.

DSCN4245Der Vollständigkeit halber sollen auch die Straßenbahnen nicht unerwähnt bleiben. Das marode Schienensystem ist wenig vertrauenserweckend, aber die Tram bringt ihre Fahrgäste immerhin schon für 8 Rubel ans Ziel. Auch hier wird man von einem Konduktor betreut, der übrigens bei fehlender Ortskenntnis gern behilflich ist.

Für alle staatlich betriebenen Verkehrsmittel (erkennbar am Konduktor) ist eine Art Sammelticket erhältlich. Damit kann eine festgelegte Anzahl Tickets bereits vor Fahrtantritt und zu einem günstigeren Preis erworben werden.

Zum Abschluss noch eine Eigentümlichkeit ufaer Busse. Es ist groß in Mode, die Scheiben der Fahrzeuge entweder mit Sonnenschutzfolie abzudunkeln, oder die Fenster gänzlich mit Vorhängen zu verschließen. Möglicherweise sollen diese Maßnahmen eine besonders wohnliche Atmosphäre schaffen. Stattdessen bewirkt das schummrige Licht beim Poeten aber eher Müdigkeit. Abgesehen davon wäre es in machen Situationen durchaus von Vorteil, wenn man sehen würde, wo man gerade ist, um rechtzeitig aussteigen zu können.


Radfahrerboom auf Ufas Fußwegen

geschrieben von am 17. April 2010 um 5:03 pm

Nicht nur die ersten Knospen sprießen – auch Radfahrer schießen wie Pilze aus dem Boden. Wer bisher davon ausging, Ufas Straßen wären zu gefährlich für Radler, der kann sich in diesem Frühling eines Besseren belehren lassen.DSCF0207

An jeder Ecke begegnet man mittlerweile mindestens einem Waghalsigen, der auf seinem zweirädrigen Gefährt über die Bürgersteige der Stadt prescht. Der Straßenverkehr stellt natürlich nach wie vor eine Todesgefahr dar. Ein ärgerlich hupender Bus und schwupps, wäre das Fahrrad längste Zeit seines Lebens ein Zweirad gewesen… Vom Fahrer mal ganz abgesehen.

Somit erobern die Radfahrer die Fußwege und begeistern mehr und mehr Passanten für die schnelle und zugleich doch sehr sportliche Fortbewegungsmöglichkeit. Das liegt wahrscheinlich nicht zuletzt daran, dass vor kurzem die Buspreise um ganze 5 Rubel erhöht wurden.

Also von wegen: “Russen könnten kein Fahrrad fahren”! Mal sehen, wann die ersten Fahrradwege angelegt werden…

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