Russische Studentenheime – von den Schwierigkeiten ein Interview zu bekommen

Deutsche Studentenheime sind eine echte Alternative zu einer WG oder einer privaten Wohnung. Ein kleines Zimmer, Kochnische und ein eigenes Bad mit Duschflatrate kann man beispielsweise in Halle für weniger als 200 € sein Zuhause nennen.

In Ufa ist das ein wenig anders. Wer aus Ufa kommt und hier an der Uni studieren will, wohnt in der Regel weiterhin bei seinen Eltern, denn für eine eigen Bleibe fehlt den meisten schlichtweg das nötige Geld. Kommt man vom Land oder aus einer anderen Stadt, dann bleibt oft nur das Studentenheim. Dort wohnt man zwar nahezu kostenlos (für etwa 4 € pro Monat), muss aber Einschränkungen hinnehmen, die für den Poeten und wahrscheinlich auch für die meisten deutschen Leser unvorstellbar sind.

Streng nach Geschlechtern getrennt, teilen sich dort vier bis acht Studenten ein Zimmer. Neben den Betten gibt es in diesen Räumen nur einen Tisch, ein paar Hocker und einen kleinen Schrank. Küche und Bad müssen sich etagenweise geteilt werden. Abgesehen von der damit praktisch nicht vorhanden Privatsphäre, fehlt auch noch etwas, dass für ein Studium eigentlich unentbehrlich ist – ein ruhiger Platz zum Lernen.

Wer das Studentenheim zu welcher Uhrzeit betreten darf und wer nicht, ist genau geregelt. Man sollte vielleicht vorweg erwähnen, dass auch russische Studenten das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben und damit volljährig sind. Um 23 Uhr wird das Heim abgeschlossen und jeder Bewohner muss bis dahin auf seinem Zimmer sein. Um 24 Uhr gibt es die letzte Chance, ins Haus zukommen. Wer bis dahin nicht zurück ist, kommt nicht mehr rein, muss bei Freunden oder im Freien übernachten und kann frühestens wieder um sechs Uhr morgens auf sein Zimmer.

Damit nicht genug. Wer nicht im Studentenheim wohnt, dem ist es eigentlich nicht gestattet es zu betreten. Besuche von Männern in einem Frauenzimmer sind generell ausgeschlossen. Mit eben diesen Regelungen kam der Poet in der letzten Woche gleich zwei Mal in Konflikt.

Ich recherchiere gerade zum Thema „Menschen mit Behinderungen in Ufa“ und wollte dazu ein Interview mit Lilja, einer gehbehinderten Studentin machen. Im welchem der Studentenheime und auf welcher Etage sie wohnt, hatte ich bereits in Erfahrung bringen können. Am Eingang saßen zwei Frauen in einem kleinen Pförtnerhäuschen und blickten mich schon beim Eintreten finster an. Noch gut gelaunt, fragte ich sie nach Liljas Zimmernummer. „Wohnen sie hier?“ wollte eine der Damen wissen. Ich verneinte und erklärte, ich wolle mit der Studentin nur kurz sprechen und sie um ein Interview bitten. „Nein! Wenn sie hier nicht wohnen, dürfen sie hier auch nicht rein“, kam als Antwort. Auch weitere Bitten und Erklärungsversuche blieben erfolglos. Die Damen blieben hart, hatten allerdings die geistreiche Idee, ich könne mich ja vor den Eingang stellen und die vorbeilaufenden Studenten befragen. Wenn einer von ihnen Lilja kennt, dann könne er ja hoch gehen und Lilja hinunterschicken.

Was blieb mir anderes übrig. Ich tat also wie mir empfohlen und fragte etwa 15 Minuten lang jeden der ein- und ausgehenden Studenten nach Lilja aus der zweiten Etage. Natürlich kannte sie niemand. In einem Haus mit mehreren hundert Studenten ist die Wahrscheinlichkeit zufällig den Richtigen zu treffen auch eher gering.

Also zurück zu den Pförtnerinnen. Nach weiteren fünf Minuten Betteln kramte eine der Frauen plötzlich eine Liste mit den Namen aller Studenten und ihren Zimmernummern unter dem Tisch hervor. „Na also“, dachte ich, „es geht ja doch“. Sie suchte eine Weile und wurde fündig. Aber anstatt mich nun hineinzulassen, beorderte die Dame einen der vorbeilaufenden Studenten zu sich und wies ihn an, bei Lilja zu klopfen und sie zum Eingang zu schicken. Nach kurzer Zeit kam er unverrichteter Dinge wieder zurück. Lilja war nicht zu Hause.

Zwei Tage später – ich hatte inzwischen auf anderem Wege Kontakt mit ihr aufgenommen – war ich wieder im Studentenheim um das Interview zu machen. Diesmal verzichtete ich darauf, die Pförtnerinnen zu fragen und drückte mich an ihrem Häuschen vorbei zur Treppe. Sofort wurde ich zurückgepfiffen und zur Rede gestellt. Es half nichts. Lilja musste sich auf Krücken die Treppe hinunter quälen und mich am Eingang abholen. Nachdem auch sie noch eine Weile auf die Pförtnerin eingeredet hatte, durfte ich dann endlich hinein.

Wir hatten gerade mit dem Interview begonnen, da ging mit einem Ruck die Zimmertür auf. Wieder die Dame vom Empfang. Sie schnaufte, wir müssten sofort aufhören und ich solle das Heim verlassen. Wenn ich ein Interview machen wolle, dann müsst ich mich an den Direktor der Universität wenden. Ohne seine Erlaubnis wäre das auf keinen Fall möglich. Wohl oder übel mussten wir uns für das Gespräch einen anderen Ort suchen.

All die beschriebenen Regeln empfinden auch viele russische Studenten als nicht mehr alters- bzw. zeitgemäß. Trotzdem stellt das Studentenheim für viele von ihnen die einzige Möglichkeit dar, sich ein Studium überhaupt leisten zu können.

Wohngemeinschaften gibt es in Russland auch. Allerdings wird sich dort – ebenfalls aus Geldmangel – meistens nicht eine Wohnung geteilt, in der jeder Mitbewohner sein eigenes Zimmer hat. Stattdessen schlafen auch in WGs oft mehrere Menschen in einem Zimmer.

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