In Russland ist der Kunde nicht König – noch nicht

Unfreundliche Verkäufer? Mies gelaunte Kellner? Ja, das gibt es wohl überall auf der Welt und wer möchte es verübeln. Schließlich haben wir doch alle mal einen schlechten Tag.

In Russland hat der Poet allerdings manchmal den Eindruck, dass jeder Tag ein schlechter Tag ist. Wenn der Konduktor mal wieder grimmig das Fahrgeld einsammelt, wenn die Kassiererin nicht einmal den Blick hebt, während sie das Rückgeld herausgibt und wenn die Frau am Ticketschalter brüllt, ob man denn nicht zuhören könne, wenn man noch einmal nach der Abfahrtzeit des Busses gefragt hat, dann…ja dann überlegt man, ob ein solches Verhalten denn nicht geschäftsschädigend ist.

Auch als ich vorgestern Abend in ufaer Brauhaus beim deutschen Stammtisch saß, hatte ich ein weiteres Erlebnis in der Kategorie „der Kunde kann mich mal“. Einer der Gäste hatte um ein Gespräch mit der Geschäftsführerin gebeten, weil in seinem Salat nicht nur Nüsse, sondern auch mehrere Stückchen Nussschale gewesen waren, die ihm beim Daraufbeißen fast die Zähne gesprengt hätten.

Die Restaurantleiterin kam in Begleitung der Küchenchefin an unseren Tisch und hörte sich mit finsterer Mine die Beschwerde an. Ungläubig nahm sie ein Stück Nussschale vom Teller der Kundin, das diese zuvor mit schmerzverzerrtem Gesicht aus ihrem Mund genommen und als Corpus Delicti auf ihrem Tellerrand drapiert hatte, knetete es zwischen ihren Fingern, nickte zustimmend und ließ es dann zu Boden fallen. Das war alles. Sie gelobte zwar, beim nächsten Mal geschälte Nüsse zu bestellen, verschwand dann aber ohne ein Wort der Entschuldigung und auch – wie es vielleicht in Deutschland üblich gewesen wäre – ohne eine kleine Entschädigung „auf Kosten des Hauses“ anzubieten.

Scheinbar teilen auch die Russen meine Erfahrungen und machen sich über die Unfreundlichkeit lustig. Heute Morgen auf dem Weg zur Uni stiegen vier Jugendliche in meinen Bus ein. Drei von ihnen setzen sich auf noch freie Plätze, dem Vierten blieb nur der Sitz des Konduktors. Zur Belustigung seiner Freunde schlüpfte er nun kurz in die Rolle des Fahrkartenverkäufers und vergaß dabei auch nicht, den obligatorischen grimmigen Gesichtsausdruck zu mimen. Am Jauchzen seiner Freunde war zu erkennen – er machte seine Sache gut.

Zur Verteidigung der Ticketverkäufer muss allerdings noch erwähnt werden, dass ihre Griesgrämigkeit sofort in unendliche Hilfsbereitschaft umschlägt, wenn man sie nach dem Weg fragt. Ihr wisst wo ihr hinwollt, aber nicht wo ihr aussteigen müsst? Kein Problem. Der Konduktor hilft bestimmt und wenn er es selbst nicht weiß, fragt er jeden anderen Fahrgast um Rat, bis er die richtige Haltestelle in Erfahrung gebracht hat.

Auch scheinen zumindest die großen Einzelhandelsketten inzwischen die Vorteile eines freundlichen Auftretens ihrer Angestellten gegenüber den Kunden erkannt zu haben. Immer öfter wird man nun auch in Ufa beim Einkauf mit einem lustlosen „beehren Sie uns wieder“ verabschiedet. Die glaubwürdige Wortbetonung und das Lächeln bedürfen aber noch einiger Übung. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis der Kapitalismus auch in Russland den Kunden zum König gemacht hat. Zar wird er wahrscheinlich niemals werden.

3 Kommentare to “In Russland ist der Kunde nicht König – noch nicht”

  1. Wochenrückblick aus Russland KW17 | Russisch lernen .de - Einfach Russisch Lernen says:

    [...] Kunde noch nicht König in Russland – Ja, richtig gelesen – “noch nicht” – und es wird vielleicht noch eine kleine Weile dauern. [...]

  2. prjanik says:

    Hehe…hat sich also nix verändert seit 1998…Schon damals kamen so laaaangsam die Ansätze der Pseudo-Kundenfreundlichkeit. Da ist man wohl nicht weit gekommen…

  3. nadja says:

    hm…vielleicht hat es auch was mit den schlechten gehältern zu tun?