Eine Ufapoetin unterwegs – Kazan

Nach erstaunlich kurzen neun Stunden Fahrt entsteige ich dem Bus, der mich eine Nacht lang in die Hauptstadt der Republik Tatarstan schaukelte. Ich bin verwirrt, die Uhr am Busbahnhof zeigt 4:14 in der Früh an – und dass, obwohl unsere Ankunft auf 9:00 angesetzt war. Wer weiß welche Schleichwege und welches Flitzer-Blitzer- Tempo der Herr Busfahrer da hingelegt hat!

Der eiskalte und verlassene Busbahnhof kann in mir noch keine rechte Vorfreude auf einen bevorstehenden Stadtrundgang aufkommen lassen. Zerstreut und noch mit Schläfchen in den Augen entscheiden wir uns, ein Taxi zum Hauptbahnhof zu nehmen und dort auf ein wenig mehr Wärme zu hoffen.

GegensätzeWir haben Glück. Die Bahnhofswärme umarmt uns wohlig. Das finden wohl auch die vielen Obdachlosen, die in den Hallen einen bequemen Zufluchtsort gefunden haben. Ich setze mich neben sie und warte mit einem Tee in der Hand, dass die Stadt erwacht. Doch nach 1,5 Stunden entweicht auch diesem Ort, der durch auffällige Verziehrungen, Gemälde und Pflanzen von seiner Schönheit überzeugt, die heimelige Wärme und wir machen uns wieder auf die Suche nach ein wenig mehr Geborgenheit.

Zielsicher erreichen wir 7 Uhr morgens den zentralen Mac Donalds. Im Moment könnte es nichts Schöneres geben, als den minus 27 Grad in den Kazaner Straßen zu entfliehen. Ein Tee nach dem nächsten heizt uns ein, bis wir uns pünktlich 9:45 Uhr zum Sonnenaufgang wieder auf die Straße trauen. Mit 3 extra Pullovern bekleidet machen wir uns auf, die Kazaner Altstadt zu erkunden.

Die wunderschönen barocken Bauwerke spiegeln sich in den Glasfassaden der hochmodernen Shoppingcenter, die sich wiederum in den Goldkuppeln der Kirchen reflektieren. Solch eine Anmut von Architektur habe ich in Russland bisher nur in St. Petersburg zu Gesicht bekommen. Ich bin begeistert von den Kirchen und Moscheen, die zwischen den alten Gebäuden auf der Fußgängerzone herausragen. Man findet sich wieder in einer Welt zwischen Morgenland und Abendland, wird von Kirchen geweckt und von Moscheen begrüßt. Ein buntes Durcheinander auf den Straßen.

Baumana UlitsaUnd ja, auch das ist ein Unterschied zur Hauptstadt Baschkortostans. Während man sich in Ufa überall, doch niemals wirklich in einem richtigen Zentrum wiederfinden kann, kann man in Kazan gemächlich über die Baumana Ulitsa schlendern, Kaffee trinken gehen, oder shoppen. Es ist so angenehm, auf einer ruhigen und schönen Straße ohne Autoverkehr entlangzulaufen. Allerdings beschallen Musikshops und kleine Cafés die Passanten mit ihren eigens außen installierten Lautsprechern. So befindet man sich in einem Musikkontinuum von tatarischen, russischen, melodiösen und harten Klängen.

Auf der Suche nach den wirklichen Sehenswürdigkeitshöhepunkten marschieren wir die Baumanastraße in umgekehrter Richtung zurück. Wir passieren heruntergekommene farbenfrohe alte Hotels, für deren Renovierung die Stadt leider keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, im Sonnenschein funkelnde Kirchen und gelangen zum Kreml.

DSCF7723Ja, nicht nur Moskau hat Einen; auch Kazan besitzt einen Kreml mit eierschalenweißer Begrenzungsmauer und gilt als einer der schönsten, weshalb er auch in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Er spiegelt die turbulente Geschichte der Stadt wieder und den vielfältigen kulturellen Einfluss. In ihm befinden sich die mittlerweile wichtigsten Bauwerke Kazans; Kirchen, Kathedralen, die größte Moschee, das Regierungsgebäude – der Kreml ist vielseitig „gefüllt“.

2005 feierte die Stadt ihr 1000-jähriges Jubiläum und lud Medien und Presse aus der ganzen Welt ein, mitzufeiern. Anlässlich dieses Ereignisses wurden der Kreml und andere Gebäude der Altstadt renoviert. Zeitgleich wurde nach langen Restaurierungsarbeiten die größte Moschee Europas eröffnet – die Moschee Kul Scharif.

Diese prächtige Moschee zieht jährlich Millionen von Touristen an, die sich mit dem Gebäude im Hintergrund fotografieren lassen möchten. Und sie ist doch wahrlich ein schönes Fotomotiv!Kul Sharif Ihr strahlend weißer Korpus mit den kerzengeraden 4 Minaretten zeichnet sich grandios vorm türkisblauen Himmel ab. Die blauen Dächer der Minarette erinnern an kleine Zipfelmützen und verleihen der Gesamtheit der Moschee trotzdem einen so mächtigen Glanz. Man wird direkt vor Schönheit angestrahlt. Für 3 Rubel darf man sich kleine blaue Plastik- Schuhüberzieher kaufen und dann die Moschee von innen besichtigen.  Touristengruppen quetschen sich auf der Treppe, um als erste an die Spitze zu gelangen und tatschen alles an. Ja, ich glaube Kul Scharif ist definitiv eine der größten Sehenswürdigkeiten!

Die Kälte und der Schnee hindern uns an weiteren Entdeckungstouren und führen uns derweil in verschiedenste Cafés der Stadt. Die Tataren sind ein sehr traditionsbewusstes Volk. Viele Familien unterhalten sich zu Hause auf Tatarisch, um ihre Sprache zu schützen. Vor allem der übermäßige Teegenuss führt mich an meine Grenzen. Während des fast zweistündigen Frühstücks am Folgetag werden mir mit Sicherheit etwa 1,5 Liter schwärzester Schwarztee eingeflößt, der meinen Puls in Stottern und meine Blase zum Rennen bringt… Typisch für den tatarischen Teegenuss sind getrocknete Früchte im Heißgetränk, die erst zerstoßen und anschließend mit getrunken werden. Auch Warenije (besonders süße russische Marmelade) und Honig gelten als vorzügliche Ergänzung zum Tee. Auf der tatarischen Speisekarte steht zu meinem Bedauern ausschließlich Fleisch in allen erdenklichen Arten. Der gemeine Fleischfresser befindet sich somit im Paradies seiner Träume. Auch Dönerrestaurants findet man in rauen Mengen.

Am nächsten Morgen weckt uns als Entschuldigung für den frostigen Schneefall am Vortag die Sonne.

Eine Autosightseeingtour bringt uns an die entferntesten und schönsten Flecken der Stadt.

Kathedrale aller ReligionenEin wahnwitziger Künstler hatte eines Tages die Idee, einen ökumenischen Tempel, eine “Kathedrale aller Religionen” zu erbauen und fing sofort an, seinen Einfall in die Realität umzusetzen. Diese geistliche Fusion befindet sich noch immer im Bauungsprozess, aber beeindruckt durch seine außergewöhnliche Gestalt! Ein weiteres – wenn auch sehr ungewöhnliches Zeichen für das friedliche Zusammenleben der Muslime und Christen in der Stadt, wofür Tatarstan ein weitbekanntes Vorbild ist.

Kazan befindet sich direkt an der Wolga und lädt im Sommer an den städtischen Stränden auch zum baden ein. Im Winter wiederum zu einer Spritzfahrt. Es ist ein komisches Gefühl, mit einem Koloss von Auto über einen 1 Meter tief zugefrorenen Fluss zu preschen. Man begrüßt Eisangler, die tagelang kleine Löcher in den Fluss bohren und auf der Suche nach dem perfekten Fang sind, mutige Fußgänger und eine Menge anderer Fahrzeuge. Doch leider sind Autoreifen eben doch nicht für Eis gemacht und so stecken wir plötzlich fest. Wieder einmal werde ich von der russischen Hilfsbereitschaft übermannt, als sich plötzlich sieben fremde Kerle neben uns befinden, am Auto rumzerren, Kommandos brüllen und schnurstracks den Wagen aus dem Eisschnee tragen. So schnell, wie sie gekommen sind, verschwinden sie auch wieder… Ganz selbstverständlich, ohne Dankesgrüße. Die Spritztour kann fortgeführt werden und wir sehen das Hockeystadion des gegnerischen kazaner Teams Akbars und auch dieÜbungshalle der bekannten Fußballmannschaft Rubin. Kazan hat also nicht nur eine Menge Kultur, sondern auch äußerst begabte und erfolgreiche Sportler vorzuweisen.

OperDie pompösen Marmorsäulen am Eingang der Staatlichen Kazaner Universität gefallen nicht nur mir, sondern luden schon damals  Lenin und Tolstoi zum Studium ein. Bekannte Söhne der Stadt!

Ein letzter Rundgang durch das nächtliche Kazan gewährt uns einen abschließenden Blick auf  die mittlerweile gruselig grünen Augen der Minarette der Kul Scharif. Ein letzter Tee bringt unser Herz noch einmal zum Rasen. Und dann besteigen wir den Zug, der uns zurück nach Ufa bringt.

Die grünen Augen der Kul SharifMein Herz ist noch immer voller kunterbunter freudig hüpfender Erinnerungen an die „Stadt der tausend Wahrheiten“ und ich bin mir sicher, im Sommer die Wolga noch einmal zu durchqueren. Diesmal allerdings im Bikini.

2 Kommentare to “Eine Ufapoetin unterwegs – Kazan”

  1. Julia says:

    Wer sich noch ein wenig mehr für die “Kathedrale der Religionen” interessiert, kann sich auf Russland- Aktuell ein wenig mehr Input besorgen! http://www.aktuell.ru/rurep0011/morenews.php?iditem=24

  2. nadja says:

    da kommt mir soo bekannt vor! ich habe leider auch nicht wirklich viel von kazan gesehen, weil es so verdammt kalt war! danke für den blick über die baumana hinaus…