Alkoholskandal – Leeres Wodkaregal entdeckt

In einem russischen Supermarkt arbeiten erstaunlich viele Menschen. Man könnte meinen, der Grund ist, dass der Ladenbesitzer es seinen Kunden so angenehm wie möglich machen möchte. Schon am Eingang scheint sich dies zu bewahrheiten. Eine Frau im blau-weiß gestreiften Kittel ist den ganzen Tag damit beschäftigt, den Schneematsch, den die Einkäufer mit ihren Schuhen hereintragen, wegzuwischen.

Ein paar Meter weiter trifft man auf den nächsten typisch russischen Arbeitsplatz. Eine andere Frau sitzt auf einen Stuhl und ist von morgens bis abends damit beschäftigt, die Handtaschen der Kundinnen in durchsichtige Plastiktüten einzuschweißen, damit diese auch ja nicht in Versuchung kommen, unbemerkt etwas in ihrem Täschchen verschwinden zu lassen. Herren mit Rucksäcken werden von der mehr oder weniger netten Dame dazu aufgefordert, ihr Gepäckstück in dafür vorgesehen Schließfächer zu verstauen.

Im Verkaufsbereich fällt auf, dass alle Regale fein ordentlich bis auf den letzten Stellplatz mit Waren bestückt sind. Erstaunlich viele Angestellte haben die Aufgabe, durch die Gänge zu wuseln und – wenn irgendwo ein Kunde ein Produkt aus dem Regal nimmt – den leeren Stellplatz sofort wieder aufzufüllen. Die Bedienung der Obst- und Gemüsewaage schafft einen weiteren Arbeitsplatz. Die Tätigkeit der Obstwaagenbedienerin wurde in einigen Supermärkten sogar dahingehend ausgeweitet, dass sie die kleinen Plastetüten für das Obst für die Kunden schon vorher von der Vorratsrolle abreißt und auffaltet. Das nenne ich Service.

Immer in Aufregung und mit wichtigem Blick ist das Supermarkt-Sicherheitspersonal. Es trägt zwar Zivilkleidung, ist aber zweifelsfrei daran zu erkennen, dass diese bedeutenden Herren einen Knopf im Ohr tragen und sich ständig mit ihrer Krawatte unterhalten.

Supermärkte mit einer Rolltreppe schaffen einen weiteren Arbeitsplatz. Wahlweise an deren oberen oder unteren Ende sitzt eine Frau den ganzen Tag an einem Tisch, auf dem zwei leuchtend rote Knöpfe installiert sind. Für den Fall eines Rolltreppennotfalls ist diese Dame jederzeit dazu bereit, einen der Not-Aus-Knöpfe zu betätigen. Sicherheit wird in Russland besonders groß geschrieben.

Wer aber gedacht hat, dass bei soviel Personal die Wartezeit beim Abkassieren besonders kurz ist, muss hier eines besseren belehrt werden. Völlig unabhängig davon, wie viele Kassen es gibt, sind immer maximal 2 davon besetzt. Die Kassiererinnen haben – so vermute ich – einen besonderen Einführungslehrgang besucht. Hier wurde vermittelt wie man möglichst langsam und lustlos den Strichcode über den Scanner ziehen kann. Für Stoßzeiten, in denen sich besonders lange Schlangen an den Kassen gebildet haben, sind diese First-Class-Kassiererinnen noch mit entsprechender Schlüsselqualifikation ausgestattet worden, um die angenehme Wartezeit zu verlängern. Wenn ein Strichcode vom Scanner nicht beim ersten lustlosen Herüberziehen erkannt wurde, so wird es nicht etwa ein zweites mal versucht, sondern die Dame tippt dann – natürlich Zahl für Zahl – die Strichcodenummer von Hand ein.

Die Supermarktkette O`KEY (dem Design nach wahrscheinlich einer Tochtergesellschaft von REAL) hat ihre Kassiererinnen damit beauftragt, jeden Kunden mit einem „Vielen Dank für ihren Einkauf. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag“ zu verabschieden. Leider wurde vergessen, die Mitarbeiterinnen auch im Lächeln zu schulen, sodass der Abschiedsgruß durch den grimmigen Gesichtsausdruck und den unfreundlichen Ton der Kassiererinnen bei mir seine Wirkung verfehlt.

Am 1. Januar jedoch ist alles anders. Nach einer durchzechten Nacht sitzt der Sicherheitsmann schnarchend in der Ecke. Die Tascheneinschweißfrau hat heute Urlaub und auch von den Regaleinräumerinnen ist weit und breit nichts zu sehen. Nur eine Aushilfskraft ist damit beschäftigt, aus großen Kisten das fast leere Wodkaregal wieder aufzufüllen. Eine nahezu leere Wodkaabteilung ist ein imposanter Anblick. Für Wodka ist in russischen Supermärkten – ebenso wie für Mayonnaise – ein Bereich reserviert, der ungefähr die Größe einer kleinen deutschen Supermarktgetränkeabteilung hat. Sogar die Kassiererin ist heute freundlich und da ich gerade der einzige Kunde bin, ist hält sich die Wartezeit in Grenzen. Wenn Einkaufen doch immer so entspannend wäre wie am 1. Januar.

2 Kommentare to “Alkoholskandal – Leeres Wodkaregal entdeckt”

  1. ralf says:

    Da war wohl die babushka, vom letzten Artikel dieses Mal rechtzeitig zum Wodka-Kaufen losgegangen… ? :)
    Es freut mich übrigens ausserordentlich, dass du Mayonnaise noch nach alter Rechtschreibung schreibst. ;)

  2. Julia says:

    sehr sehr witzig!