Poet im Urlaub – Kulturschock rückwärts

Einer der Poeten nimmt gerade ein paar Tage Urlaub und ist zurück in Halle, um sich ein wenig vom anstrengenden Freiwilligenleben zu erholen und seine Liebe zu pflegen. Dabei wundert er sich über so manche Dinge, die den Alltagshallenser wohl eher kalt lassen.

Feiertage sind tatsächlich Feiertage

Erster Tag zurück in der Heimat. Der Poet macht sich frohen Mutes auf den Weg in die Innenstadt um ein paar Dinge zu besorgen. In vollem Bewusstsein, dass an diesem Tag Pfingstmontag ist, kommt ihm der hallesche Marktplatz zwar ein wenig verlassen vor, was ihn aber nur in seiner Meinung bestärkt, dass Halle eben doch ein ziemlich kleines Städtchen ist. Erst als er verdutzt vor der mit einem heruntergelassenen Stahlgitter verschlossenen Buchhandlung steht, geht ihm ein Licht auf. Halle ist zwar klein, aber so verschlafen dann doch nicht. Pfingstmontag ist ein Feiertag und an Feiertagen sind Geschäfte geschlossen und Menschen liegen auf der Peißnitz in der Sonne. Das ist banal, aber in Ufa vergisst man das sehr schnell. Nicht das es in Russland keine Feiertage gäbe, aber sie haben keinerlei Auswirkung auf die Ladenöffnung. Wer Lust hat, sein Geld in Ware umzutauschen, der kann das in Ufa an 366 Tagen im Jahr tun. Einschränkungen dieser simplen Regel sind nur am 1. Januar vereinzelt anzutreffen, wenn Ladenbesitzer es auf Grund der durchzechten Silvesternacht nicht aus dem Bett geschafft haben, oder wenn Chefs in weiser Voraussicht ihren Mitarbeitern für diesen Tag frei gegeben haben.

„Ich bin in 10 Minuten da.“

Dieser Satz ist in Ufa eine sinnleere Floskel, denn es ist in den meisten Fällen völlig unmöglich vorherzusehen, wann man sein Ziel erreicht haben wird. Die Fahrzeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hängt dort von den Launen der Fahrer, dem technischen Zustand der Fahrzeuge und vor allem der aktuellen Verkehrslage ab. Für ein und dieselbe Strecke sind Schwankungen der Fahrzeit um zehn bis fünfzig Minuten keine Seltenheit und über Verspätungen regt sich niemand ernsthaft auf.

Ganz anders dagegen in Halle. Der Fahrplan an der Haltestelle oder der Routenplaner im Internet verraten auf die Minute genau, wann die Straßenbahn an einer Haltestelle ankommen wird. Die Abweichungen betragen im schlimmsten Fall ein mal zwei bis drei Minuten und trotzdem bietet die geringste Verspätung Anlass für ausgeregtes Rentnergeschnatter und allerhand Beschimpfungen des regionalen Verkehrsunternehmens.

Überhaupt scheint Schimpfen, Meckern und Nörgeln in Deutschland Volkssport zu sein. Auf meiner Anreise nach Halle wollte ein Rentnerpaar noch schnell auf einen Regionalzug aufspringen. Omi war schon eingestiegen und Opi kämpfte noch mit Koffer und Bahnsteigkante, als sich die Zugtür zu schließen begann. Natürlich wurde dem Opa von der Tür kein Härchen gekrümmt, denn sie hatte – wie jede andere deutsche Zugtür – ein Sicherheitssystem, dass sie bei jedweder Störung sofort wieder aufspringen lässt. Trotzdem begannen Oma und Opa sogleich damit, sich lauthals über die Unverschämtheit zu echauffieren, dass hier arme alte Leute fast von Zugtüren ermordet werden. Der halbe Wagon stimmte mit ein und man einigte sich darauf, dass man den Zugführer zur Rechenschafft ziehen müsste, wenn er derart verantwortungslos die Türen schließt und dass die Deutsche Bahn ja sowieso der Verursacher grundsätzlich allen Übels sei.

Die Aufregung hatte sich längst gelegt, als eine halbe Stunde später der Schaffner zur Fahrkartenkontrolle durchkam. Sofort beschwerte sich die Oma über den Beinahe-Exitus ihres Gatten und wenige Sekunden später begann der gesamte Wagon auf den armen Zugbegleiter einzureden. Ich wette, in Russland hätte niemand über einen solchen Vorfall auch nur ein Wort verloren, selbst wenn tatsächlich jemand von einer Zugtür eigeklemmt worden wäre. Man lebt dort einfach ein wenig entspannter.

Sirok und Apfelschorle

Die westliche und die russische Lebensmittelindustrie haben einige Produkte entwickelt, die eigentlich nicht sehr ausgefallen sind, sich trotzdem großer Beliebtheit erfreuen, aber auf der jeweils „anderen“ Seite nicht erhältlich sind. Zwei Beispiele dafür sind Apfelschorle und Sirok. In ufaer Supermärkten gibt es keine Apfelschorle. Ein paar russische Freunde, die in Deutschland einmal Apfelschorle probiert haben, erzählten mir, sie wären erst etwas überrascht gewesen, weil sie dachten, sie hätten normalen Saft gekauft. Von dem Geschmack und der Idee waren sie dann aber doch begeistert.

Genau andersherum ist es mit Sirki. Dabei handelt es sich um eine kleine Süßigkeit – einem Riegel aus Quark mit fruchtiger, schokoladiger und auf jeden Fall süßer Füllung und Schokoglasur. Alle Deutschen die ich kenne und die diese Riegel einmal probiert haben, finden sie unheimlich lecker. Warum also kann man das in keinem deutschen Supermarkt kaufen und warum gibt es in Russland keine Apfelschorle, obwohl diese Dinge doch scheinbar die Gaumen beider Kulturen erfreuen? Es kommt noch hinzu, dass diese Produkte jeweils von Firmen vertrieben werden, deren Lebensmittel man sonst in nahezu jedem Supermarkt auf der ganzen Welt findet – Sirok gibt es von Danone und Apfelschorle von CocaCola.

Käse mit Geschmack

Nicht dass man in Russland nicht gut essen könnte. Die russische Küche ist hervorragend und wer einmal die Gastfreundschaft einer russischen Familie genießen konnte, der wird für den Rest seines Lebens von den Gaumenfreuden schwärmen. Aber ein einfaches Stück Brot oder Brötchen mit Belag ist in Russland schlicht nicht üblich. Dementsprechend ist auch das Angebot an gutem Brot, Käse und Wurst. Die Vorfreude des Poeten auf eine leckere Scheibe dunkeln Brotes, vielleicht sogar mit ein paar Körnern, und obendrauf ein cremiges Stück Camembert, war riesig. Auch die gerade eröffnete Grillsaison lässt das Poetenherz mit echten deutschen Bratwürstchen höherschlagen.

Das Leben in beiden Ländern hat also seine Vor- und Nachteile und wer das eine mag, muss das andere eben lieben lernen.

2 Kommentare to “Poet im Urlaub – Kulturschock rückwärts”

  1. Monika says:

    In Deutschland gibt es auch solche Sirki! Ich hab sie aber leider bisher nur bei Netto gesehen. Sie stammen von einer russischen Firma- “Lakomka” und heißen ganz einfach “Quark-Riegel”.

    http://www.lakomka.eu/

    Ich finde sie schmecken fast genauso gut wie in Russland. Wenn ich mich richtig erinnere kosten sie 0,39 €.

    LG

  2. Tobias says:

    …unterwegs zu Netto…