Kein Interview mit Natalja: „Ich muss hier noch ein paar Jahre arbeiten.“

Natalja, die ihren richtigen Namen nicht im Internet lesen möchte, ist Zugbegleiterin und arbeitet schon ihr halbes Leben bei der russischen Eisenbahn. Ihre zwei inzwischen erwachsenen Kinder hat sie allein großgezogen. Zehn Tage Zugfahren, 5 Tage frei und dafür 10.000 Rubel (ca. 260 €) pro Monat – das ist ihr Leben.

„Na, können sie nicht schlafen?“, will sie wissen. Es ist 2 Uhr morgens, irgendwo nördlich von Moskau. Ihre Kollegin kann sich gerade für ein paar Stunden ausruhen. Je zwei Zugbegleiter sind in russischen Fernzügen für die Betreuung eines Wagons zuständig. „Wollen sie an einer Fahrgastbefragung teilnehmen?“, bietet mir Natalja an. Sie stellt ein paar Fragen. „Wie zufrieden sind sie mit dem Zug? Machen wir unsere Arbeit gut?“ Was soll ich sagen? Die Lüftung des Wagons ist kaputt. Tagsüber schmoren die Fahrgäste bei unerträglichen 36 °C. Jetzt in der Nacht sind es immer noch fast 30 °C. Beim Samowar funktioniert die Wasserzufuhr nicht richtig – ständig ist das heiße Wasser alle. „Ja!“, stimmt Natalja zu, „Früher war das alles anders. Da hatten wir immer jemanden, der das repariert hat, aber heute! Heute ist ständig irgendetwas kaputt!“

Und so beginnt sie zu klagen. Die Arbeit ist so furchtbar anstrengend. Fünf Tage am Stück arbeitet sie, 24 Stunden am Tag ist sie im Dienst. Und dafür einen Hungerlohn, von dem sie nicht leben kann. Zum Glück bekommt sie von ihren Eltern Obst und Gemüse aus dem Garten.

Einige ihrer jungen Kolleginnen hätten es richtig gemacht. Sie hätten einen Ausländer geheiratet und wären in die USA oder nach Deutschland gegangen. Aber sie selbst? Nein! Sie ist doch hier zu Hause, was soll sie schon im Westen. Ich frage sie, ob sie nicht bereit wäre, uns ein Interview zu geben und Baschkirienheute über ihr Leben als Zugbegleiterin zu erzählen. Natalja lehnt ab. „Nein!“, sagt sie, „Ich hätte ganz gewiss nichts positives zu berichten und das fänden meine Vorgesetzten gar nicht lustig.“ „Und wenn wir Ihnen einen anderen Namen geben?“, versuche ich es noch einmal. Sie will nicht. „Ich arbeite hier schon so lange, die Leute kennen mich und meine Meinung. Ich muss hier noch ein paar Jahre arbeiten, bevor ich in Rente gehe.“

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