Per Anhalter… zum Baikalsee

Etappe 1: Von Ufa nach Tscheljabinsk – „Wie dämlich kann man eigentlich sein? Du wirst hier bis morgen früh stehen!“

Um 7:00 klingelt der Wecker. Rucksack und Frühstück sind schon vorbereitet. Kurz nach neun Uhr steht der Poet an der Autobahn M5 und streckt seinen Daumen Richtung Tscheljabinsk in die Höhe. Das Autobahnkreuz ist hier in alle Richtungen dreispurig ausgebaut und die Autos rasen in hohem Tempo vorbei. Schnell ist klar, hier wird niemand anhalten um mich mitzunehmen. Trotzdem versuche ich es noch an einigen anderen Stellen. Vor und hinter der Auffahrt, in der nächsten Kurve – nichts! Nach drei Stunden gebe ich auf. Meine Straßenkarte zeigt noch eine zweite Möglichkeit, auf diese Autobahn zu kommen. Ganz im Norden Ufas gibt es eine Zubringerstraße, vielleicht kommt man von dort besser los.

Mit dem Bus fährt der Poet bis zum Motorenwerk UMPO. Näher kommt man mit dem ÖPNV nicht an die M5. Also: Neuer Versuch – Daumen raus. Und siehe da, es funktioniert. Nach zehn Minuten sammelt mich Albert auf seinem Nachhauseweg ein. Er ist Tatare, Taxifahrer von Beruf und wohnt in einem kleinen Dorf, etwas außerhalb von Ufa, aber direkt neben der Autobahn. Am Eingang des Dorfes steht eine Polizeikontrolle, mehrere Milizionäre tragen Maschinenpistolen um den Hals. Die schwere Bewaffnung der Polizisten fällt mir zwar auf, aber ich frage Albert zunächst nicht danach. Er will wissen, ob ich irgendwelche deutschen Souvenirs bei mir habe. „Selbstverständlich“, denke ich, „mein Rucksack ist voll davon“. Aber ich beschließe ihn noch ein bisschen auf die Folter zu spannen. „Ein paar Kühlschrankmagneten mit Berlinfoto, eine Tasse in den Farben der deutschen Flagge…“ lasse ich Albert wissen. Er ist enttäuscht. „Was hältst du von deutschem Likör?“ Seine Augen leuchten. „Kann ich dir eine Flasche abkaufen?“ fragt er. Ich schenke sie ihm: 0,2 l Wilthener Gebirgskräuter. Am Ende des Dorfes ist wieder eine Polizeikontrolle und erneut sind die Milizionäre mit MPs bewaffnet. Nun frage ich doch nach. „Naja“, meint Albert, „das ist ein besonderes Dorf. Hier sind solche staatlichen…naja…staatliche…“ Er weiß nicht wie er es erklären soll. Oder verstehe ich es nur nicht? Wir sind schon fast an der Autobahn. Ich frage ihn nach einem Interview für Baschkirienheute. Der Sache mit dem abgesicherten Dorf muss ich auf den Grund gehen. Albert zögert erst, stimmt dann aber zu und gibt mir seine Telefonnummer.

Als nächstes nehmen mich zwei baschkirische Brüder mit. Lion und Fail sind beide schon geschieden und zeigen mir stolz Fotos von ihren Söhnen. Lion ist Soldat und in Tschetschenien stationiert. Auf meine Frage nach dem Tschetschenienkrieg sagt er: „Es geht um Öl, um nichts anderes als um Öl.“ Diese Antwort erinnert mich an ein Erlebnis am halleschen Rennbahnkreuz. Im letzten Sommer traf der Poet dort nachts einen gebürtigen Tschetschenen an der Straßenbahnhaltestelle. Auch er hatte mir erzählt, das der Grund für die Kriege in der Kaukasusrepublik allein der Kampf um das Erdöl sei. „Schon wenn man dort einfach nur in seinem Vorgarten buddelt, sprudelt einem das Öl entgegen.“ hatte er gesagt.

Auf meinem Weg nach Tscheljabinsk bin ich inzwischen mitten im Uralgebirge. Traumhaft schöne Birkenwälder säumen die Straße. In den malerischen Tälern liegen süße kleine Dörfer. Ab und zu auch ein Städtchen. Hier reihen sich die Holzhäuser dicht gedrängt aneinander und in der Mitte ragt ein dicker Plattenbauklotz in den Himmel. Man sollte meinen, diese Geschmacklosigkeit aus der Sowjetzeit würde die Postkartenidylle völlig zerstören. Stattdessen finde ich sogar gefallen an diesem Anblick. Es hat etwas interessantes, futuristisches.

Kurz hinter der Stadt Sim setzen mich Fail und Lion an einer Raststätte ab. Es ist kurz nach fünf Uhr am Nachmittag. Etwa ein Drittel der 400 km bis Tscheljabinsk sind geschafft. Ein Restaurant, eine Tankstelle, mehrere kleine Holzbuden, an denen man fast alles kaufen kann, vom Autoersatzteil, über die Anglerausrüstung bis zum Gartenpool. Ein paar Trucker sitzen in der Sonne und genießen ihre Pause bei einer Runde “Nardy” (russische Version von Backgammon). Die vorbeirasenden LKWs wirbeln dicke Staubwolken auf. Mein ausgestreckter Daumen scheint hier wieder niemanden zu interessieren, es hält kein einziges Auto. Nach zwei Stunden beginne ich damit, auch die pausierenden Trucker zu fragen, ob sie mich mitnehmen. Wieder nichts – keiner der LKWs fährt nach Tscheljabinsk. Um 21:00 habe ich mich langsam damit abgefunden, dass ich diese Nacht wohl im Wald, oder im nächsten Dorf schlafen muss. „Was für ein toller Start!“, denke ich bei mir. „Schon an der ersten Etappe gescheitert“, würde der Blogeintrag heißen. Einer der Budenverkäufer winkt mich zu sich. „Wie dämlich kann man eigentlich sein“, macht er mich an, „du wirst hier bis morgen früh stehen!“ An der Tankstelle hält ein Lada. Der Fahrer sieht völlig entnervet aus. Soll ich ihn fragen oder lasse ich ihn lieber in Ruhe? Ich frage. Volltreffer! Der Mann ist furchtbar schlecht gelaunt, aber er fährt direkt nach Tscheljabinsk und nimmt mich mit.

Im Auto sagt er kein Wort. Der Poet schläft ein. Als ich aufwache scheint sich die Laune des Fahrers gebessert zu haben. Er ist Redakteur bei einer tscheljabisnkaer Anzeigenzeitung. Ab und zu stehen dunkle Rauchwolken über den Bäumen. Waldbrände – es hat seit Wochen nicht geregnet. Etwas später essen wir an einer Raststätte Abendbrot. Ich muss auf die Toilette, aber ich traue mich nicht. Was ist, wenn der Mann jetzt einfach ins Auto steigt und mit meinem Rucksack abhaut? Es wird nun schnell dunkel. Die Trasse hat gute Landstraßenqualität, nur manchmal gibt es Abschnitte mit riesigen Schlaglöchern.

Nachts um 1:00 sind wir in Tscheljabinsk. Ich werde noch bis vor die Tür meines Couchsurfing-Hosts gefahren. Ich übernachte bei Misha. Es gibt noch eine Tasse Begrüßungstee und danach falle ich todmüde ins Bett. „Dieser Mann war so nett zu mir“, denke ich vor dem Einschlafen, „er nimmt mich 300 km in seinem Auto mit, fährt mich mitten in der Nacht noch zu meiner Unterkunft und ich kenne noch nicht einmal seinen Namen.

Ein Kommentar to “Per Anhalter… zum Baikalsee”

  1. nadja says:

    naja, der mann hat das schon ganz gut formuliert…aber wenn du auf diese art zu reisen stehst, kann man nix machen ;) ich hatte gedacht, du fährst mit julia zusammen? oder trampt ihr unabhängig von einander? ;)
    viel glück auf jeden fall noch! :)